Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
die Tür weit öffnete und sagte: »Ich danke Ihnen sehr.«
Sie gab keine Antwort, sondern ging schnell hinaus in den engen Korridor. Dort bemerkte sie das erschrockene Gesicht Adinas, die in einer Ecke saß und sich erhob, um etwas zu ihr zu sagen. Aber Racheli verschwand, sie hatte keine Kraft, Adina gegenüberzutreten und zu berichten, was dort in jenem Zimmer passiert war.
Racheli rannte den Korridor entlang, die Treppe zum Erdgeschoß hinunter, von dort zum Hinterhof des Migrasch ha-Russim und zur Jaffastraße.
Die Sonne schlug ihr entgegen, in dem hellen Licht mußte sie die Augen zusammenkneifen. Vor dem Schaufenster der Buchhandlung Jarden blieb sie stehen und entdeckte das neueste Buch Arie Kleins: »Die musikalischen Ursprünge in der Lyrik des Mittelalters«. Ihre Beine zitterten, als sie an der Ampel des Zionplatzes wartete, bis es Grün wurde. Der Zeitungsverkäufer auf der anderen Straßenseite ließ es ergeben zu, daß sie stehenblieb und die Schlagzeilen in den Abendzeitungen las, die von dem Mord berichteten und alle ein großes Foto von Scha'ul Tirosch auf der Vorderseite hatten. Schließlich kaufte sie eine Zeitung und steuerte auf das Café Alno in der kleinen Fußgängerzone zu und setzte sich an einen leeren Tisch.
Die Kellnerin wartete ungeduldig, bis sie sagte: »Eine Cola mit Zitrone.« Dann versuchte sie den Artikel zu lesen, der auf der zweiten Seite fortgesetzt wurde und eine Beschreibung der Leiche und der Lebensgeschichte Tiroschs enthielt sowie einiges über den Leiter der Untersuchungskommission, Oberinspektor M. Ochajon, dessen Ruhm sich vor allem auf der Lösung des Mordfalles Eva Neidorf vor zwei Jahren gründete. Über sein Privatleben stand nichts darin, auch sein Alter war nicht angegeben.
Racheli betrachtete den Mann, der am Tisch links neben ihr saß und frühstückte, und ein älteres Paar am Tisch daneben. Die beiden tranken Kaffee und redeten ununterbrochen. Dann schaute Racheli auf die große Uhr an der Wand gegenüber und sah, daß es bereits elf war. Ihr fiel ein, daß um neun die Prüfung in Statistik angefangen hatte und in einer halben Stunde vorbei sein würde. Im ersten Moment geriet sie in Panik, doch dann rief sie sich selbst zur Ruhe, denn es würde einen zweiten Termin geben. Aber sie beruhigte sich nicht, und ihre Hand, die das Glas hielt, zitterte so sehr, daß sie es auf den Tisch stellen mußte.
Der Mann, der jetzt fertig gefrühstückt hatte, stand auf, bezahlte und ging. Die Kellnerin räumte den Tisch ab und legte eine Ausgabe der Ha-Arez neben sie. Auf der ersten Seite der Tageszeitung, neben dem Foto Scha'ul Tiroschs, befand sich auch ein Foto des Mannes, mit dem sie den Vormittag verbracht hatte, Oberinspektor Michael Ochajon, die Hände wie abwehrend ausgestreckt und mit einem sinnlichen Mund. Racheli starrte auf das Foto, während sie langsam ihre Cola trank.
Achtes Kapitel
»Was hast du mit ihr gemacht, mit diesem Kind?« fragte Zila und setzte sich ihm gegenüber.
»Sie ist kein Kind mehr, und sie ist völlig in Ordnung«, antwortete Michael abwesend, während er wie besessen eine Nummer wählte und immer wieder von vorne anfing, wenn das Besetztzeichen ertönte.
»Und sie sieht gut aus, stimmt's?« fragte Zila in dem herausfordernden Ton, den sie manchmal anschlug, wenn sie allein waren. Ab und zu ging Michael darauf ein, aber heute ignorierte er ihren forschenden, amüsierten Blick, und während er weiter wählte, fragte er: »Gibt es was Neues? Was ist los?«
Zila stieß einen lauten Seufzer aus und begann zu berichten, daß alle vorgeladen worden seien, daß Informationen vom Nachrichtendienst eingeholt worden seien und daß gegen die Angehörigen der Fakultät nichts Besonderes vorliege.
»Was heißt nichts Besonderes?« fragte Michael, der immer nervöser wurde, weil der Apparat wieder das Besetztzeichen hören ließ.
»Das heißt, es gab Verkehrsstrafen, und Ido Dua'i hat einmal an einer nicht genehmigten Demonstration teilgenommen, Aharonowitsch hat sich einmal beschwert, daß die Leute im Stockwerk unter ihm zuviel Krach gemacht haben. Hörst du mir zu? «
Er nickte, wählte weiter und sagte: »Am Mittwoch letzte Woche hatten sie ein Fakultätsseminar, und das Fernsehen war da. Es gibt einen Film. Ich möchte ihn noch heute sehen.«
Zila stand auf und ging um den Schreibtisch herum. Noch während Michael sprach und wählte, zog sie aus der oberen Schublade einen Zettel und einen angekauten Bleistift und notierte sich etwas.
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