Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
schlagen.«
»Die Sache ist die, daß jeder Dichter, der in dieser Zeitschrift veröffentlicht, Aufmerksamkeit, Anerkennung und Ehre erhält, alles Dinge, die auch in anderen Lebenszusammenhängen wichtig sind, und Tirosch war der Meinungsmacher dieser Zeitschrift«, erklärte Michael mit leiser Stimme.
»Ich habe Sie verstanden«, sagte Levi, als alle aufstanden, und legte ihm seine schwere Hand auf die Schulter. »Aber jetzt frage ich noch einmal: Haben Sie den Aspekt Sicherheit abgeklärt? Den politischen Hintergrund?«
»Haben wir«, unterbrach Balilati, und Arie Levi warf ihm einen zweifelnden Blick zu. An der Tür erwähnte Michael, daß bis zum Abend schon Ergebnisse aus den Detektorverhören vorliegen würden.
»Wo wirst du den ganzen Tag sein?« fragte Zila besorgt, als sie das Zimmer verlassen hatten.
»Erst auf dem Har ha-Zofim«, antwortete Michael, »um noch mal mit Tuwja Schaj zu reden, vielleicht stoße ich auf etwas Neues.« Er zögerte und fuhr sich über das Gesicht. »Ich rufe dich von dort aus an, wenn ich fertig bin.«
»Nimmst du jemand mit? Damit er im Auto sitzt und aufnimmt.«
»Komm, Elfandari«, rief Michael zum anderen Ende des Flurs hinüber. »Du begleitest mich.«
Elfandari fuhr das Auto, in dem sich die Aufnahmegeräte befanden. »Warum bauen sie hier keine Klimaanlage ein? Ist es nicht schade um die ganzen Geräte?« fragte er, als sie in dem glühendheißen Wagen saßen.
Michael tat das grelle Licht in den Augen weh, er gab keine Antwort. Zum tausendsten Mal betrachtete er das königliche Eingangstor zum Migrasch ha-Russim und staunte darüber, wie wenig das alles zusammenpaßte. Der russische Palast als Rahmen und die dünnen, provisorischen Wände, die das Innere in verschiedene Büros aufteilten. Ihm gegenüber, in der Sonne, lag die stille, russische Kapelle. Sonntags war sie voller Leute, und der Gesang der russisch-orthodoxen Nonnen drang heraus. Manchmal hörte er den Gesang, wenn er an dem Gebäude vorbeiging oder in seinem Auto vorbeifuhr. Immer rührte er ihn an, und es dauerte einige Minuten, bis ihm einfiel, daß Sonntag war. Manchmal hörte er den Gesang auch in Begleitung von anderen, wenn er am Kiosk stand, und registrierte befriedigt das Staunen in den Gesichtern der Zuhörer, die diesen Eindruck aber sofort abschüttelten und sich wieder ihren eigenen Angelegenheiten zuwandten. Er betrachtete die großen Fässer, die den Parkplatz eingrenzten, und den Kiosk, dann wanderten seine Augen wieder zum Dach der runden Kapelle, das grün in der Sonne glänzte, er sah die Herberge, die Prinz Sergio aus dem Hause Romanow der Kirche gegenüber erbaut hatte, für die russisch-orthodoxen Pilger. In diesem Gebäude waren jetzt die Büros der Gesellschaft für Naturschutz untergebracht, außerdem ein Zweig des Landwirtschaftsministeriums. Michael ließ seinen Blick über den ganzen Migrasch ha-Russim wandern, über die prachtvollen steinernen Schlösser, die mit geringem Aufwand den Bedürfnissen der israelischen Behörden angepaßt worden waren, und wieder weckte die Diskrepanz zwischen den Büros und der Vision des Prinzen Sergio Staunen in ihm, ein Staunen darüber, daß in dem heutigen, prosaischen Jerusalem überhaupt Menschen leben konnten.
Er fand seine Sonnenbrille im Handschuhfach des Autos und setzte sie auf, als das Auto losfuhr.
Sie standen im Flur neben dem Sekretariat. Tuwja Schaj rieb sich mit einer Hand die Stirn. In der zweiten hielt er ein dünnes Heft und eine Mappe. Er sagte gereizt: »Es ist die letzte Vorlesung vor dem Jahresende, ich kann sie nicht ausfallen lassen.«
»Auch nicht nach allem, was hier passiert ist? Sie lassen doch Vorlesungen aus weit belangloseren Gründen ausfallen, hier, schauen Sie doch diese Zettel an.« Michael deutete auf Ankündigungen am Schwarzen Brett, das an der Wand hing, und sagte: »Familiäre Gründe oder ganz ohne Angaben von Gründen. Warum können Sie die Vorlesung nicht ausfallen lassen? Und wenn Sie plötzlich krank geworden wären?«
»Scheren Sie uns nicht über einen Kamm«, sagte Schaj zornig. »Ich lasse nie einfach so eine Vorlesung ausfallen. Den Studenten wurde es vorher nicht angekündigt. Warum soll ich sie jetzt im Stich lassen?«
»Weil zwei von ihren Dozenten ermordet worden sind«, sagte Michael einfach, und Tuwja Schajs Zorn verflog, er schien sich plötzlich zu erinnern und sah aus, als wäre er unter eine kalte Dusche geraten.
»Alles, was ich in diesem Jahr gelehrt habe, muß heute
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