Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Titel: Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
Vom Netzwerk:
nicht?« Er steckte sich eine Zigarette an und behielt das brennende Streichholz lange in der Hand, obwohl die Luft im Raum wegen der geschlossenen Fenster stickig war. Diese aggressive Überlegenheit, die jeder demonstrierte, der persönliche Erfahrungen mit dem Leben im Kibbuz hatte, brachte ihn langsam auf die Palme.
    Er hatte auch genug von Naharis Einmischung, von der Hilfe, die er nur im Austausch gegen ein Bekenntnis der eigenen Hilflosigkeit zu geben bereit war, und nur unter der Bedingung, daß das betreffende Problem mit persönlicher Unkenntnis des Kibbuzlebens zu tun hatte. Dann nämlich konnte Nahari zu einem seiner detaillierten Statements über das Kibbuzleben ansetzen. Und als Michael einmal bemerkt hatte, die Dinge könnten sich in den letzten Jahren vielleicht geändert haben, hatte Nahari abschätzig gesagt: »In den Grundsätzen hat sich nichts geändert, da ist alles beim alten geblieben. Was bedeutet es schon, daß es, im Gegensatz zu früher, jetzt eine Fabrik gibt?«
    »Es gibt dort Leute, die das für einen grundsätzlichen Unterschied halten, ebenso wie es für manche eine Frage des Prinzips ist, wenn man über eine regionale Altensiedlung nachdenkt, in der vielleicht sogar Leute aus der Stadt aufgenommen würden, natürlich gegen eine ordentliche Bezahlung, um das Problem der gesellschaftlichen Isolierung der alten Leute zu lösen. Halten Sie das nicht für eine Grundsatzfrage?« Michael kaute an einem Streichholzende. Etwas an seinen eigenen Worten kam ihm falsch vor, auch wenn er nicht wußte, was es war. »Ich denke, daß ich die grundsätzlichen Probleme der Kibbuzbewegung inzwischen sehr wohl sehe«, sagte er ohne falsche Bescheidenheit. »Das ist es nicht. Das Problem ist: Was hat der Mord, der in diesem besonderen Kibbuz geschehen ist, möglicherweise mit diesen Grundsatzfragen zu tun? Das weiß ich einfach nicht. Nicht weil es mir keiner gesagt hätte, sondern weil sie es dort selbst nicht wissen.«
    »Das kapiere ich nicht«, sagte Nahari. »Jetzt habe ich Sie nicht verstanden.«
    »Es gibt etwas, was sie selbst nicht sehen, weil sie mittendrin stecken«, sagte Michael.
    »Wer ist in diesem Fall mit ›sie‹ gemeint?« fragte Nahari. Sarit streckte die Hand nach der Coca-Cola -Flasche aus, die mitten auf dem Tisch stand.
    »Nun, diejenigen, die Bescheid wissen. Dworka, Osnats älteste Kinder, Mojsch, Jojo und diese Krankenschwester. Sie wissen etwas, von dem sie nicht wissen, daß sie es wissen. So ist das immer. Nur in diesem Fall ist es noch stärker ausgeprägt.«
    »Entschuldigen Sie«, sagte Nahari kühl. »Fällt Ihnen auf, daß Sie, wie soll ich es sagen, in Rätseln sprechen? Was genau meinen Sie?«
    »Es ist, als verhöre man eine Familie. Verstehen Sie das nicht?«
    Sarit stellte ihr Glas auf den Tisch. »Ich denke gerade an den Fall mit diesem Jungen, den wir unlängst hatten«, sagte sie nachdenklich. »Die Eltern haben die ganze Zeit gesagt, wie wunderbar er sei, wie sehr in Ordnung und all das, und was haben wir am Schluß nicht alles über ihn herausbekommen. Es war nicht so, daß die Eltern gelogen hätten, sie haben die Anzeichen nur falsch gedeutet. So war es doch, oder? Ist es das, was du meinst, Michael?«
    »Ich glaube, daß die Leute innerhalb einer Familie in ihren eigenen Denkmustern und Beziehungen gefangen sind«, sagte Michael, als habe er Sarits Worte nicht gehört. »Sie unterscheiden schon nicht mehr zwischen ihrem eige nen Ich und dem familiären Ich, und jeder neue Blickwin kel kommt ihnen unmöglich vor. Hier ist es das gleiche, nur mit dreihundert Personen.« Nach kurzem Nachden ken fügte er hinzu: »Und das habe ich zum Beispiel aus Büchern gelernt, nicht aus dem, was mir erfahrene Leute erzählt haben.«
    Nahari schwieg eine Weile. Schließlich sagte er ohne jede Ironie: »Wenn ich Sie richtig verstanden habe, meinen Sie also, daß man hier vorgehen muß, als handle es sich um einen Mord innerhalb einer Familie.«
    »So ungefähr«, murmelte Michael, dem die Begeiste rung, mit der er gesprochen hatte, schon leid tat. Er fühlte sich verlegen. »Das Problem ist«, fügte er ruhiger und überlegter hinzu, »daß ich überhaupt keine Verdächtigen habe. Ich habe schlichtweg keine Ahnung.«
    »Und was ist mit dem Verrückten?« fragte Sarit und starrte auf den gelben Bleistift, den sie in der Hand hielt.
    »Wer? Jankele? Nein, das glaube ich nicht«, sagte Michael. »Er hat sich nachts dort herumgetrieben, ja, aber er hat sie nicht umgebracht.

Weitere Kostenlose Bücher