Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
Mann gehören«, bemerkte Schimschon. »Sie passen einer ziemlich großen Hand.«
»Viele Musiker haben große Hände«, sagte Jafa. »Ich habe heute auch bemerkt, daß die meisten lange Arme haben.«
»Als ob der Körper sich den Bedürfnissen anpaßt«, spottete Schimschon und legte die Handschuhe vorsichtig in eine kleine Tüte. »Das beste wäre es«, dachte er laut, »wenn wir alle mit ins Labor nehmen und die Hände dort nach Fellresten überprüfen könnten.«
»Es ist zu spät«, warf Balilati ein, »sie haben sich die Hände gewaschen, nachdem wir die Fingerabdrücke abgenommen haben, vor allem der, bei dem man etwas hätte finden können.«
»So etwas gibt es nicht«, ereiferte sich Schimschon. »Unter den Fingernägeln wird man immer fündig. Es dauert Tage, bis kein Rückstand mehr auszumachen ist.«
»Gibt es keine Fingerabdrücke in den Handschuhen? Kann man im Futter keine Fingerabdrücke sichtbar machen?
»Das werden wir überprüfen und feststellen lassen«, murmelte Schimschon. »Aber man muß ihre Hände untersuchen.«
»Das machen wir«, versprach Michael, »nur müssen wir berücksichtigen, daß eventuell gerade der, den wir suchen, nicht mehr hier ist.«
Schimschon händigte Jafa die verschlossene Tüte aus. Sie standen noch im Flur neben dem alten Klavier. Einer der Leute von der Spurensicherung leerte den Inhalt des Papierkorbs, der in der Ecke stand, in eine große Plastiktüte. Michael starrte auf die Hände des Mannes, die in durchsichtigen Handschuhen steckten und zwischen einem verrotteten Apfel und Butterbrotpapier herumwühlten. Als er die Klänge hörte – die anderen redeten weiter, als wäre nichts geschehen, bis auf Balilati, der sich aufrichtete, den Kopf zur Seite legte und sich wieder gegen die Wand lehnte –, fror er zu Eis. Sein Herz raste. Von weitem, aus der Richtung von Theos Büro, war deutlich der warme Klang eines Cellos zu hören. Als Michael eilig in den zweiten Flügel auf Theos Büro zusteuerte, identifizierte er schon die Klänge. Als er die Tür erreichte, hatte er keinen Zweifel mehr daran, daß jemand auf wunderbare Weise ein vertrautes Stück spielte, vielleicht ein Stück von Bach, aber dann hörte er das Kratzen und das dumpfe Geräusch und erkannte, daß es eine Schallplatte war, eine alte Schallplatte und nicht Nita.
Im Raum stand Theo neben dem Radio – seine Hand war in der Luft über dem Knopf erstarrt –, das zu voller Lautstärke aufgedreht war. Sein Gesicht war kreidebleich und hatte einen entsetzten Ausdruck. »Ich hatte nicht vor, Mu sik zu spielen, ich wollte nur die Nachrichten hören, vielleicht berichten sie ja schon darüber«, sagte er mit zittriger Stimme. »Ich habe es nur angeschaltet. Die Musik wollte ich nicht hören. Es war Zufall. Denn hier ist immer der Musiksender eingestellt.«
Michael stand in der Tür und sah Nita an, die auf dem Rücken lag. Ihre offenen Augen mit den großen Pupillen waren auf die Decke gerichtet. Heisere Klänge einer alten Aufnahme erfüllten den ganzen Raum. Jetzt, als Michael in das Zimmer trat, hörte er plötzlich auch den leisen Klang der begleitenden Orgel.
»Die Lautstärke war schon voll aufgedreht«, flüsterte Theo, »ich konnte nicht mehr abschalten, wegen Thelma Yellin«, verteidigte er sich, als die Musik verstummte, und zeigte auf Nita, die den Blick nicht von der Decke nahm.
»Sie hörten das Adagio aus einer Tokkata in c-Moll für Cello und Orgel von Johann Sebastian Bach«, verkündete die Sprecherin in feierlichem Ton und fügte hinzu, daß es eine Archivaufnahme von Kol Israel aus den fünfziger Jahren war, eine besondere Bearbeitung der Tokkata, gespielt von der Cellistin Thelma Yellin, aus Anlaß des hundertsten Geburtstags der Künstlerin. In der Zeit, die bis zu den Nachrichten blieb, erwähnte die Sprecherin, daß Thelma Yellin, die eine Schülerin von Casals war und viel für die Musik in Israel geleistet hat, 1959 im Alter von vierundsechzig Jahren starb.
Theos Hände zitterten. Michael lehnte sich gegen die Wand. Nita bewegte den Kopf nicht, ihre Augen, die wegen der großen Pupillen sehr dunkel waren, waren immer noch zur Decke gerichtet, und ihre Stimme klang heiser und rauh, als sie sagte: »Vielleicht bin ich die nächste – und aus und vorbei.«
Michael setzte sich neben sie auf das Sofa. »Wovon redest du?« fragte er bestürzt und legte seine Hand auf ihren Arm.
»Es kann kein Zufall sein, daß sie Thelma Yellin spielen«, murmelte sie und schloß die Augen.
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