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Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Titel: Ochajon 04 - Das Lied der Koenige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Michael überrascht, wie wenig ihn diese zur Routine gewordenen Situationen abgestumpft hatten. Erneut stellte er fest, daß ihn dieser Anblick keinesfalls kaltließ. Er schien sogar noch verletzlicher und empfänglicher für den Schmerz anderer zu werden, was auf eine Schwäche hindeutete, tadelte er sich in diesem Moment, als er angespannt vor dem Mann saß, der leise weinte. Der Glas tisch, der auf einem Metallbein stand, trennte sie. Isi Maschiach saß in der Mitte des schwarzen Ledersofas, Michael in einem tiefen, breiten Sessel vor ihm, der ebenfalls mit weichem, schwarzem Leder bezogen war. Ein Sessel, der ihn in sich versinken und ihn seine Armmuskeln spüren ließ, während er sich mühsam auf die breiten Lehnen stützte, um nicht noch tiefer zu sinken. Er studierte aufmerksam Isis Reaktionen, versuchte sein Mitgefühl zu unterdrücken und beeilte sich, Isi der Gruppe von Menschen zuzuordnen, die ihr Gesicht wahrten. Den Menschen, die ihre Umgebung nicht mit Schreien und Kreischen belasteten, deren Weinen zurückhaltend und gefaßt war. Ihre Gesichtszüge verwandelten sich nicht in starre Masken, die deutlich machten, daß sie nicht mehr von dieser Welt waren, daß ihre Seelen zu anderen Ufern übergetreten waren, weil sie die Last der Fakten nicht ertragen konnten. Sie flüchteten sich in etwas, was der Polizeipsychologe Elro'i als »völlige Absence, als eine Bewußtseinstrübung – einen Schutz vor seelischer Überflutung« bezeichnete. Die Wirkung dieses Schmerzes auf sich selbst, das zehrende Mitleid, das er fühlte, durfte er nicht an sich heranlassen. Er mußte sich abgrenzen, warnte er sich, als er langsam das Aufnahmegerät anschaltete, sich mit der Kassette herumschlug und das Gerät auf dem Glastisch deponierte, während Isi das Zimmer verließ.
    Isi ging zur anderen Seite der Wohnung, und von dort war deutlich das Geräusch fließenden Wassers zu hören, ein heiseres Schluchzen, das Hochziehen einer Nase und wieder fließendes Wasser. Dann herrschte lange eine unangenehme Stille. Bis Isi erschüttert zurückkam, sich wieder in die Mitte des schwarzen Sofas setzte und kein Wort über das Aufnahmegerät verlor, das bei jeder Umdrehung ächzte. Michael und Isi schwiegen.
    Obwohl er jetzt weinte und ein Mann zu sein schien, der sich seiner Tränen nicht schämte, war nichts Weibliches an ihm. Bevor Michael es ihm gesagt hatte, als Isi ihm die Tür geöffnet hatte, schien es, daß er rasch von seinem mit Papieren überhäuften Schreibtisch aufgesprungen war, die sich neben einem Computer stapelten, auf dem in grünlichem Licht Tabellen mit langen Zahlenreihen leuchteten. Isi Maschiach hatte die Tür geöffnet, als hätte er angespannt auf ein Klingeln gewartet. Er hatte den Mund geöffnet, um etwas zu sagen, war regungslos stehengeblieben und hatte Michael mit einer Verblüffung angestarrt, die sich in offene Enttäuschung verwandelt hatte. Es stellte sich heraus, daß er auf den Klempner gewartet hatte, der ein Leck in einem Heizungsrohr beheben sollte. Eine Plastikschüssel stand un ter dem weißen Rohr und fing ein dünnes Rinnsal brau nen, rostigen Wassers auf. Seit dem Mittag erwartete er den Klempner, sagte er, noch bevor er Michael fragte, was er hier wolle, und ihm zulächelte, als er ihn wiedererkannte. Er erinnerte sich an Michael von einem Besuch während der Trauertage für Felix van Gelden. Er bat ihn mit einladender Geste in die Wohnung. Dann beklagte er sich über den Klempner, sah auf die Uhr und bemerkte, daß Gabi noch nicht zu Hause sei und sicherlich jeden Moment eintreffe. Er hatte keine Ahnung, wo Gabi sich herumtrieb, sagte er verwundert und schlug vor, daß Michael hier auf ihn wartete, während er auf den schwarzen Sessel deutete.
    Schon im ersten Moment hatte Michael erkannt, daß sein Besuch Isi Maschiach nicht überraschte. Der war überzeugt, Michael hätte sich in der Sache Felix van Gelden oder wegen Nita herbemüht. Darum befürchtete Michael, seine Fragen über Isis Tagesablauf könnten deplaciert erscheinen. Dennoch fragte er, zweimal, ob Isi Gabi am Vormittag ge sehen habe, ob er die Probe besucht habe, ob er mit ihm tele foniert habe. Isi Maschiach erteilte bereitwillig Auskunft. Er hatte tatsächlich gegen ein Uhr Mittag in der Pause mit Gabi telefoniert und von der Geschichte mit Teddy Kollek, der Störung der Probe und ihrer Verlängerung erfahren. Gabi machte einen angespannten Eindruck, erzählte er besorgt. Er genoß es, daß er zeigen konnte, wie vertraut er

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