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Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Titel: Ochajon 04 - Das Lied der Koenige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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eine hohe a-Saite. Sie hatte nur ...«, wieder senkte er seine Augen zu dem Zettel, »eine g-Saite und eine c-Saite dabei, aber sie sagt, sie glaubt, daß sie die hohe Ersatzsaite vor ein paar Tagen aufgezogen hat und daß du ...«, er wedelte in Richtung Michael, »dabei warst, als ihr die Saite riß.«
    »Aber ich«, Michael rutschte auf seinem Stuhl, »weiß nicht, ob es eine hohe a-Saite war oder eine d-Saite oder eine g-Saite oder eine c-Saite, die gerissen ist. Ich gebe mir Mühe, mich zu erinnern, ob sie etwas darüber gesagt hat«, murmelte er abwesend. »Aber alles, woran ich mich erinnere, ist, daß sie mich gefragt hat, ›ist das eine Quinte‹. Das ist alles, was sie gesagt hat«, versicherte er und fragte sich, ob es ihm nur schien, daß er die Ungläubigkeit in ihren Gesichtern sah, oder ob sie ihm wahrhaftig mißtrauten. »Ich kann nicht einmal Noten lesen«, sagte er erstickt. »Die Namen haben mir nichts gesagt. Selbst eine Quinte – ich weiß nicht mal, was das ist.«
    Balilati machte dem bedrückenden Schweigen ein Ende. »Wir müssen nicht vorgreifen«, sagte er in väterlichem Ton. »Selbst wenn wir theoretisch davon ausgehen, daß es eine Saite aus ihrem Koffer war – nicht, daß ich wüßte, wie man das beweisen könnte«, druckste er herum. »Aber nehmen wir einmal an, daß sie wirklich aus ihrem Cellokasten stammte, dann könnte doch jeder ...«, er dachte nach, »vor allem, wer bei ihr zu Hause war«, sagte er in einem plötzlichen Geistesblitz, »sagen wir ...«
    »Falls du dabei an Theo denkst«, sagte Michael, »er war in letzter Zeit nicht allein bei ihr zu Hause. Ich war fast immer dort, und ich weiß ziemlich genau, wer in der Wohnung war und wer nicht. Aber auch im Konzertsaal könnte jemand die Saite an sich genommen haben. Damit will ich nicht sagen, daß Theo vollkommen draußen ist ...«
    »Aber wir müssen es überprüfen und auch das Alibi des Maestro.« Seit den frühen Morgenstunden, seit die Frage nach Theos Paß aufgekommen war und seit seinen Versuchen, auszuweichen und der Polizei den Paß nicht auszuhändigen, nannte Balilati ihn »Maestro«. »Was denken Sie sich«, hatte Theo vor Balilati in Nitas Wohnzimmer protestiert, »meinen Sie, ich kann momentan an eine Reise denken? Nicht mal nach Japan werde ich fliegen«, hatte er wütend gesagt und seine Verpflichtungen im Fernen Osten ins Gespräch gebracht. »Nur Gabriel van Gelden können wir nicht mehr darüber verhören.«
    »Worüber?« fragte Sipo.
    »Wir können ihn nicht mehr darüber verhören, wo er ge nau war, als sein Vater ermordet wurde«, erklärte Dalit, und ihre Augen wanderten wachsam zwischen Michaels und Balilatis Gesicht hin und her.
    »Wir können seinen Bruder fragen«, versicherte Michael. »Wir werden ihn noch heute dazu verhören. Sein Bruder wird es uns sagen. Theo weiß es.«
    »Woher willst du das wissen?« fragte Balilati erstaunt. »Warum kommst du erst jetzt damit?«
    Michael gab keine Antwort. Er versuchte die Situation und das Gespräch zu rekonstruieren, das er mitbekommen hatte, als er damals in der Küche stand. Er erinnerte sich genau an die Frage: »Warum hast du nichts davon gesagt?« Und daß das Wort »Rechtsanwalt« gefallen war. Wieder herrschte bedrückende Stille. Balilati klopfte mit dem spitzen Ende eines gelben Bleistifts einen Dreiertakt auf der Tischplatte. Er sah Michael mit einem zweifelnden Blick ge nau an, klatschte in die Hände und sagte: »Machen wir weiter.«
    Balilati saß am Kopf des Tisches und leitete die Sitzung, als ginge es um einen Sederabend. Er verteilte Rollen, erteilte das Wort, achtete auf die Vorschriften, wandte sich hin und wieder Dalit zu und sagte: »Hast du mitgeschrieben? Schreib es auf!« Sie nickte eifrig und bemerkte: »Ich habe es notiert. Schon längst.« Manchmal kaute sie konzentriert an der Spitze des Stiftes, neigte sich zu Balilati und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Sie hatte ihre Position schnell ausgebaut und versuchte, sich unabkömmlich zu machen. Schon zu Beginn der Sitzung wurde Michael klar, daß Balilati sich von ihr abhängig machte. Er hatte gesehen, wie Ba lilatis Augen ihren Rücken und ihren Hintern verfolgten und die Beine hinabglitten, als sie aufstand, um das Fenster zu schließen. Sie hatte sich auf die Zehenspitzen gestellt, als unten ein Tumult entstand und das Geschrei von ein paar Araberinnen zu hören war, die nach verschwundenen Häftlingen suchten, während die Glocken der russischen Kirche läuteten. Sie

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