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Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Titel: Ochajon 04 - Das Lied der Koenige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Abstraktion, sie ist ausschließlich Lebensfunktion! Denken Sie an Zerlina, wie sie Masettos Hand an ihre Brust legt und man in der Begleitung genau das Herz und seinen Rhythmus hört, denken Sie daran. Haben Sie gewußt, daß er das von Haydn geklaut hat?«
    Sichtbare Verwunderung zeigte sich auf dem Gesicht der jungen Frau mit dem dunklen Haar und den Sommersprossen.
    »Das ist nicht meine Idee«, meinte Theo bescheiden, »Ha rold Robbins Landon ist darauf gekommen, daß Mozart hier von Haydn gestohlen hat. Von Haydn gibt es einige wunderbare Opern«, er räusperte sich plötzlich, als bekäme er keine Luft. »Eine, Entschuldigung«, sagte er und hustete lange, »dieser Opern heißt ›Die Welt auf dem Monde‹. Darin gibt es mehrere Abschnitte, die auf dem Pulsschlag aufgebaut sind, denn eine der Figuren in der Oper bekommt im Finale mit einer Reihe von Tonleitern einen Herzinfarkt. Es ist nicht immer das Herz in der Bedeutung der Pumpe«, erklärte er lächelnd, »es sind Pulse, die man vielleicht Seelenmoleküle nennen könnte.« Michael fragte sich, ob er diese Sache mit den Seelenmolekülen glauben sollte, und überhaupt, wenn seine Intuition ihn nicht täuschte, wie konnte es dann sein, daß Theo hier diese Dinge äußerte. Auf jeden Fall, dachte er bei sich, als Theo ihnen vorschlug, noch einmal die Sonate in f-Dur zu hören, waren diese Worte über den Menschen doch ...
    Sein Gedankengang wurde unterbrochen, als Theo murmelte: »Die klassische Musik«, und gebeugt neben dem Aufnahmegerät stand, »ist nämlich die erste Musik, die als Ganzes innerhalb der ›Seele‹ stattfindet. Und das Herz, der Puls, die grundlegendste Lebensfunktion, das ist die verborgene, anhaltende Stimme der klassischen Musik, das ist die Musik, die dem Tempo einen so dominierenden Platz verleiht, bis sie es schließlich als selbständige Stimme herausstellt. Das ist die ›göttliche‹ Stelle, und deshalb schlafen hier einige Zuhörer ein.« Jetzt legte er die CD ab und richtete sich wieder auf.
    »Es wird ihnen schwindlig, weil diese Stelle eine mystische Qualität hat, wie bei einer Art Rückkehr in die Gebärmutter hören sie plötzlich von nahem das schlagende Herz ihrer Mutter, und auf ihm ruht die ganze Welt, die ganze tö nende Existenz. Wenn Haydn und Mozart dieses ta, ta, ta, ta erreichen«, Theo betonte die Silben mit gezielter Gleichförmigkeit, »diese scheinbare Monotonie, kommen sie zum Kern ihres Stils, dem Brennpunkt des Mythos der klassischen Musik. Gerade daher wird klar, daß die Musik nicht wie bei Bach ein ›Abbild der göttlichen Ordnung‹ ist, sondern ein Geisteszustand, eine Art Laune.«
    Theo drückte auf den Knopf, und Nita schloß erneut die Augen. Eine senkrechte Falte erschien zwischen ihren Augenbrauen. War dies wirklich Theos Theorie, oder waren es bekannte Wahrheiten? Wie gut diese jungen Musiker es hatten, dachte er schmerzvoll, daß sie nachvollziehen konnten, auch physisch, worum es ging. Er dagegen ...
    Alle Zuhörer schwiegen, als die Musik verstummte. Ganz langsam erhoben sie sich von ihren Sitzen. Jemand klatschte, jemand ging zu Theo. Michael versuchte zu lauschen, aber er schnappte nur den Namen Wagner auf und ein paar Worte, die Theo sagte: »Selbstverständlich nicht beim ›Fliegenden Holländer‹ ...« Als er Michaels Blick bemerkte, drehte er das Gesicht ab und senkte die Stimme. Der junge Mann schaltete das Aufnahmegerät ab. Der Kollege, der mit verschränkten Armen zwischen Juwal und Nita saß, rührte sich nicht. Auch Nita blieb sitzen. Michael stand auf und ging auf sie zu, neigte sich über sie und legte eine Hand auf ihren Arm. Sie öffnete die Augen. Die Pupillen waren wirklich groß. Etwas flackerte in den dunklen Augen des neuen Kollegen auf.
    »Sie haben sie gestern abgeholt«, sagte Nita mit einer ausdruckslosen, gepreßten Stimme, als ob das Sprechen ihr schwerfiel. »Und du bist auch verschwunden.«
    Der junge Polizist stand auf. Plötzlich hatte Michael das Gefühl, daß er nicht geschickt worden war, um auf Nita und Theo achtzugeben, sondern auf ihn, damit er nicht allein mit Nita blieb. Zu seinem Zorn darüber empfand er auch Beleidigung und Scham. Die Gefühle überfluteten ihn und ließen ihn die Zähne zusammenbeißen. Er ärgerte sich über Schorer und über die Vorschriften. Fast hätte er verlangt zu wissen, wie die Anweisung genau gelautet hatte, als er körperlich die zu große Nähe des Kollegen spürte, der jedem seiner Worte lauschte.
    »Es war ein

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