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Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Titel: Ochajon 04 - Das Lied der Koenige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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erstaunlicher Vortrag«, sagte er zu Nita, nur um irgend etwas zu sagen. Ihre Lippen öffneten und schlossen sich. »Nicht wahr, war er nicht sehr beeindruckend?« fragte er.
    Sie zuckte die Achseln. »Nicht für mich. Es war nichts Neues sagte sie mit schwerer, müder Stimme, »ich habe es schon öfter gehört. Ich habe schon alles gehört.«
    »Von Theo«, sagte Michael, als riefe er sich in Erinnerung, daß sie Bruder und Schwester waren.
    »Zu Hause.«
    »Nicht nur von Theo. Ich kenne diese Theorie aus seinen Diskussionen mit Gabi«, sagte Nita abgehackt. »Es sind Dinge, die Theo in seinen Diskussionen mit Gabi entwikkelte. Über einen Teil dieser Äußerungen waren sie sich einig. Es war etwas, das ich so sehr mochte. Diese Art von Diskussion zwischen ihnen. Wie schön es war«, sagte sie, legte eine große Hand auf ihren Mund und sah den jungen Polizisten an, der aufrecht in ihrer Nähe stand und schwieg.
    Michael sah sie unentwegt an. Er hoffte, daß er ihr mit den Augen vermitteln konnte, was er jetzt nicht ausspre chen durfte. Er wollte ihr sagen, daß man es ihm verboten hatte. Daß es nicht seine Entscheidung war. Er dachte dar an, ihr zu sagen, sie zu bitten, daß sie ihm vertraute. Er wollte ihr Momente in Erinnerung rufen, die sie gemeinsam erlebt hatten. Ihr sogar von dem Baby erzählen und von seinem inneren Versuch zu verzichten, für das, was ihm für Momente wie eine grausame Gerechtigkeit erschien. Und über die Momente, in denen er dachte, er würde noch um sie kämpfen. Doch der neue Kollege wich nicht von seiner Seite, und darum sagte Michael mit sehr leiser Stimme nur: »Nita«, und drückte ihren Arm, als er in ihre Augen sah. Es schien ihm, daß für eine Sekunde in ihnen ein großer, grauer Schmerz aufleuchtete. Daß sie genau wußte, was er fühlte, daß sie wie er fühlte, daß sie alles verstand. Dann wagte er es und warf einen fragenden, sicherstellenden Blick auf sie, und sie nickte; mit sehr langsamen Bewegungen senkte sie einmal und noch einmal den Kopf.
     
    Beim Mittagessen saßen sie zu dritt an einem Tisch. Erst jetzt stellte Eli den Wachtmeister Ja'ir offiziell vor. Sie hock ten beinahe schweigend auf den Stühlen mit den hohen Leh nen, die dunkelrot gepolstert waren. Er saß mit dem Rük ken zum Fenster, über dem eine rote Bougainvilleapflanze rankte. An der Wand an seiner Seite hing ein großes Farbporträt von Lilian Bentwich. Ihr Tisch stand nicht weit von dem Tisch, an dem Theo und Nita mit einem hochgewachsenen Mann mit geröteten Wangen saßen, dessen helles, welliges Haar ergraut war und dessen Hornbrille in einer Art spiegelte, die es nicht ermöglichte, seine Augen zu sehen. Aber sein zaghaftes Englisch, seine lauten Bemerkungen, das laute Lachen konnte man gut hören. Es bestand kein Zweifel. Von der Photographie auf der Hülle der alten Schallplatte wußte er, daß es Johann Schenk war. Der Mann, der beim Betreten des Hauptgebäudes Nita umarmt und ihre Locken gestreichelt und der Theos Hand herzlich geschüttelt hatte.
    Da sie wenig sprachen – sich der Anwesenheit der be gabten jungen Musiker an den Tischen ringsumher be wußt – vertiefte sich Wachtmeister Ja'ir in sein Essen, schöpfte sich von dem gedünsteten Weißkraut einen Nachschlag und stimmte willig in eine zweite Portion von dem fetten Truthahn ein. Und da Eli müde aussah und hin und wieder leise über Fragen sinnierte, die er mit dem »Verteilen von Kompetenzen« überschrieb, war Michael frei, um dem Gespräch am Tisch von Theo und Nita und von Jo hann Schenk höchst persönlich zu lauschen. Zwar war Johann Schenk nicht der Sänger der ›Winterreise‹ auf der Schallplatte, die ihm Becky Pomeranz vor dreiundzwanzig Jahren gekauft und zu Juwals Geburt geschickt hatte. Aber auf der neuen CD, die er sich vor einigen Jahren gekauft hatte, hatte ihn dessen Stimme, warm und mitreißend, für ein paar Minuten, vor allem im letzten Lied, für sich eingenommen.
    Es verging eine Weile, bis Michael verstand, daß Johann Schenk von der Aufführung des »Don Giovanni« in Salzburg sprach. »Der Kopf des Commendatore zerschmetterte!« rief er laut lachend. »Und Elvira! Was er mit Elvira gemacht hat!« Er beschrieb mit seinen langen Armen eine schaukelnde Figur und erzählte mit Begeisterung, wie Elvira, an ein Trapez gebunden, über der Bühne schwebte. Dann beugte er sich über seinen Teller Suppe, aß sie restlos auf und sprach weiter. Jetzt hörte Michael, wie der Baritonsänger die Stadt Dresden mehrere

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