Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
ihm gelassen. Gabriel hat ihn gefunden. Er war im Schlafzimmer. Sie haben ihn dorthin geschleppt. Theo hat ihn auch gesehen. Mich haben sie nicht reingelassen. Ich weiß nicht, ob er Angst hatte und wie lange er Angst hatte. Es ist so furchtbar, so furchtbar ...«
Michael murmelte bedeutungslose Silben. Dann faßte er sich und fragte: »Genügt es nicht, daß deine beiden Brüder bleiben? Können sie dich nicht nach Hause gehen lassen?« Er konnte selbst nicht glauben, was er da sagte. Er hatte vollkommen unbedarft gesprochen. Wie einer, der das Vorgehen der Polizei nicht kannte. Als ob es zwei Menschen in ihm gäbe.
»Ich bin gerade erst fertig geworden, ihnen den Schmuck zu beschreiben. Keiner von uns kann sich genau an den Schmuck erinnern. Wir mußten auch alle drei etwas zu dem Bild sagen.«
»Was für ein Bild?«
»Ich habe es dir doch schon gesagt«, antwortete sie ohne ihre typische Ungeduld. »Alles ist wegen dem Bild passiert. Sie müssen gewußt haben, daß es hier war. Es hat einen Wert ... Ich weiß nicht genau, eine halbe Million Dollar vielleicht.«
»Um was für ein Bild geht es?«
Plötzlich sickerte irgendein Gefühl in ihre Stimme: »Habe ich dir nicht davon erzählt? Ich habe dir doch davon er zählt, daß mein Vater ein Bild besaß, eine Vanitasdarstellung von Hendrik van Steenwijk aus dem 17. Jahrhundert. Das spielt jetzt keine Rolle. Sie haben es aus dem Rahmen geholt. Es ist nicht mehr hier. Sie haben die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt. Und wir ...« Sie schnappte nach Luft. »Wir waren ihm böse, daß er nicht zum Konzert gekommen ist! Wenn ich an die Stunden denke, die er hier gelitten hat, während ...«
»Auf keinen Fall waren es Stunden. Es ist eine Sache von Minuten, wenn nicht Sekunden«, sagte er energisch.
»Bist du sicher? Oder sagst du das nur einfach so?«
»Ich weiß es.«
»Auch so ist es schon schrecklich genug. Ich weiß überhaupt nicht ... wie es jetzt ... Genug! Ist mit Ido alles in Ordnung?«
»Völlig in Ordnung. Er schläft wie ein Murmeltier. Darum brauchst du dir jetzt keine Sorgen zu machen.«
»Sie haben ihn weggebracht. Sie haben ihn von hier weggebracht. Jetzt sind nur noch wir hier und dieser Kriminalbeamte, der wartet, bis wir gehen, um ... um die Wohnung zu versiegeln. Das hat er gesagt.«
»Es tut mir leid, daß ich nicht bei dir sein kann«, sagte er.
Sie überhörte seine Worte. Ihre Stimme zitterte jetzt: »Sie sind noch nicht fertig mit den Untersuchungen. Sie haben nur einen Teil auf Spuren untersucht. Wir dürfen nichts mehr anfassen. Wir dürfen uns nur in der Küche aufhalten, bis sie ihre Arbeit abgeschlossen haben.«
»Was heißt das, sie sind noch nicht fertig?« fragte er verwundert. »Sie sind gegangen, bevor sie die Spurensuche abgeschlossen haben?«
»Der eine ist noch da, dieser Mann. Er redet ununterbrochen.«
»Balilati?« vergewisserte er sich.
»Ja«, flüsterte sie, »hör zu«, sagte sie zitternd, »ich weiß, daß du nicht wolltest, daß ich zugebe, dich zu kennen. Ich habe auch nichts gesagt, aber wäre es denn nicht besser, wenn ...«
»Nein«, bestimmte er. »Ich werde es dir erklären, glaube mir. Es ist völlig in Ordnung. Er wird alles richtig machen, auch ohne daß du mich erwähnst.«
Sie schwieg.
»Frag ihn, wann du heimfahren kannst.«
»Ich habe schon gefragt. Er gibt mir keine Antwort. Er redet eine Menge, aber er beantwortet keine Fragen.«
»Es wird nicht mehr lange dauern«, versprach er.
»Als ob es noch etwas ausmachen würde«, murmelte sie. »Jetzt ist wirklich schon alles, alles, völlig ...« Ihr Ton än derte sich und wurde wieder leer. Im Hintergrund erklan gen dumpfe Männerstimmen. »Sie wollen, daß ich rüberkomme«, sagte sie, »um die Schmuckliste zu begutachten. Als ob das noch etwas bringt.«
Er legte sich nicht mehr schlafen. Ido wachte nur ein mal auf. Das Baby zweimal. Aber auch in den Stunden, in denen beide ruhig waren, konnte er nicht wieder einschlafen. Zuerst legte er die Kleine auf seinen Bauch. Ihre Füße reichten ihm bis zur Taille, ihr Kopf war in seinem Hals ver graben. Ab und zu holte sie tief Luft, erschauderte, zitterte und änderte die Kopflage. Schließlich brachte er sie in die Wiege zurück. Auch lesen konnte er nicht. Er lag in der Dunkelheit und rauchte. Er stierte auf den roten Lichtfleck am Ende der Zigarette und horchte aufmerksam auf die Geräusche, die von der Hauptstraße kamen, obwohl er sehr genau wußte, daß er das Auto, mit dem Nita kommen
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