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Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Titel: Ochajon 04 - Das Lied der Koenige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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würde, nicht hören würde. Denn sie würden an der anderen Seite des Gebäudes anhalten, der Seite, der die Wohnungs fenster nicht zugewandt waren, sondern der Küchenbal kon. Schließlich stellte er sich auf den Küchenbalkon und rauchte über das Geländer gebeugt. Die Asche schnippte er in einen leeren Blumentopf, der in der Ecke stand. Und so sah er schließlich, im ersten milchig-bleichen Licht des Mor gengrauens, Gabriel van Gelden, der Nitas Arm stützte, ihr aus einem großen Wagen half und sie in das Gebäude führte.

3
Vanitas
     
     
     
    »Wer hätte an so etwas gedacht!« rief Theo van Gelden, der vor dem Schlafzimmer in Nitas Wohnung stehenblieb. Er starrte auf die geschlossene Tür und fing wieder an, in dem engen Flur auf und ab zu gehen. Seine Hände steckten in den Hosentaschen. Ab und zu, in regelmäßigen Abständen, stampften seine Füße kräftig auf die Fliesen auf, als folge er einem strengen Rhythmus, der ihm von außerhalb diktiert wurde. »Nach allem, was er im Leben durchgemacht hat«, sagte er, als er nah am Wohnzimmer stand, in dem Nita und Gabriel saßen. »Da muß einer zweiundachtzig werden, die Nazizeit in Holland durchmachen, immer wieder gerettet werden, um in seiner Wohnung, hier in Erez Israel, ausgeraubt und umgebracht zu werden!«
    Etwa um diese Zeit, es war gegen sechs Uhr morgens, begannen die Avocadoschnitzel auf den Broten, die Gabriel belegt hatte, sich dunkel zu verfärben. Gabriel war der ein zige, der eine ganze Scheibe Brot und zwei Tassen Kaffee zu sich genommen hatte. Theo hatte nur von dem weichen Teil des Weißbrots etwas genommen, auf dem er geistesabwesend herumkaute, und Nita warf nicht einmal einen Blick auf den Kupfertisch, auf dem der gefüllte Teller stand. Von dem Moment an, in dem Michael nach dem ersten Ge spräch mit Theo van Gelden den Hörer aufgelegt hatte, wußte er, daß der Druck, der mit einemmal auf ihm lastete, sich nicht auflösen würde. Er wollte nicht darüber nachdenken, was mit dem Baby geschehen würde, nachdem er herausgefunden hatte, daß es Balilati war, der die Ermitt lungen im Fall Felix van Gelden leitete. Denn in diesem Mo ment begriff er plötzlich, daß durch diesen Vorfall die Sache mit dem Baby nicht mehr geheimgehalten werden konnte. Denn wenn Dani Balilati mit dem Fall beauftragt worden war, würde er mit seinem Spürsinn und seiner vermeintlich lässigen, leichtfertigen Art hinter alles kommen.
    Als Michael Nita an der Wohnungstür gesehen hatte, hatte sich sein Gewissen zu Wort gemeldet. Sie war barfuß, hielt die Stöckelschuhe in der Hand und trug noch immer das schwarze Abendkleid. Ihr Blick war leer und starr. Er hatte sich nur mit der Geheimhaltung seines Geheimnisses beschäftigt, mit seinem persönlichen Anliegen, mit der Frage, wie er jetzt noch das Baby behalten konnte. Was als Rahmen gedacht war, in dem sie beide Schutz suchten, war von einer Minute zur anderen zu einem Rohr im Wind ge worden. Was ein Zufluchtsort zu sein schien, existierte nicht mehr. Und wie schon häufig in den letzten Tagen, eigentlich seit er das Kind gefunden hatte, wurde ihm quälend bewußt, daß er die Kleine verlieren könnte. Und das Gefühl eines großen Versäumnisses, eines untröstlichen Verlustes überwältigte ihn. Er verdrängte sogleich die Gedanken daran, ließ die Angst wie ein Holzstück auf dem Strom der allgemeinen Sorgen treiben und versuchte an Nita zu denken.
    Als Nita Ido gefüttert hatte, der aufgewacht war, kaum daß sie die Wohnung betreten hatten, hatte sie ihr Gesicht in dessen Hals vergraben. Als sie ihn wickelte, hatte sie gelächelt. Michael hatte vorgeschlagen, es für sie zu übernehmen, aber sie hatte nur den Kopf geschüttelt und stur weitergemacht. Sie hatte ihr Gesicht auf Idos rundliche Brust gelegt und irgend etwas gemurmelt. Schließlich hatte sie ihn wieder in sein Bett gelegt, sich in die Sofaecke gesetzt, die Beine angezogen und die Knie umfaßt. So saß sie schon eine ganze Weile da. Einerseits war das Zusammensein mit ihr und ihren Brüdern für Michael in diesem Augenblick die natürlichste Sache der Welt. Schon oft in seinem Leben hatte er mit Menschen zusammengesessen, die um einen Ermordeten trauerten, hatte sich angehört, was sie zu sagen hatten, und Fragen gestellt. Aber diesmal lagen die Dinge anders. Vor allem, weil er sie nicht ausfragen konnte, aber auch, weil Nita so nah war und doch so weit entfernt.
    »Es ist nicht sicher, daß sie hinter Geld her waren«, präzisierte Gabriel.

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