Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
zog ihn vor und nahm das Instrument heraus, wobei er Theos Blick ignorierte, der schweigend und aufmerksam seinen Bewegun gen folgte. Michael kniete sich neben den Kasten, den er auf den weichen Teppich vor dem Stuhl, auf dem Theo saß, depo niert hatte. Er untersuchte den Inhalt, befühlte den Kolophoniumwürfel, betastete den grünen Filz, der den Innenraum des Kastens polsterte, und zog die Transparentpapierhüllen heraus. Zwei aufgerollte Saiten lagen darin. Er sah vor sich, wie ihre Finger die Saite aufgezogen und gestrafft hatten. Er versuchte sich krampfhaft zu erinnern, wie viele Ersatzsaiten, damals im Wohnzimmer, in dem Kasten gelegen hatten. Aber sein inneres Auge war von dem Bild ihrer Hände gefesselt, die die Hülle öffneten, die Saite auseinandernahmen, sie aufzogen, und auch von ihrem konzentrierten Gesichtsausdruck. Sie allein würde ihm sagen können, wie viele Saiten darin gelegen hatten. Er verlieh seiner Stimme einen nüchternen Ton, als er Einzelheiten über das Instrument erfragte.
»Es ist wirklich kein Stradivari«, versicherte Theo und bückte sich über das Cello, das zwischen ihnen lag. »Aber auch Amati aus Cremona ist etwas Besonderes – 1737. Er war auf Celli spezialisiert.« Theo drehte sich zu Nita um, die sich nicht regte, und seufzte. »Ein jüdischer Millionär, der so bewegt war nach Nitas erstem Konzert mit dem Chicago Symphony Orchestra, hat es ihr geschenkt. Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen.« Eine Zuckung in Form eines Lächeln durchfuhr sein Gesicht. Wieder ließ er sich zu einem Redefluß hinreißen, nur weil er nicht schweigen konnte. » Sie hatte Elgar wirklich gut gespielt. Elgar. Es war Elgar, das Cellokonzert von Elgar, kennen Sie es?«
Ohne auf eine Antwort zu warten, fügte er hinzu: »Das Konzert, das Jacqueline du Pré zu etwas gemacht hat. Wirklich wunderbar, vielleicht haben Sie es im Fernsehen ge sehen. An sich«, er kratzte sich am Kopf, »ist dieses Konzert aus meiner Sicht ein unbedeutendes Stück. Aber Jacqueline du Pré hat wirklich etwas daraus gemacht. Nun, als Nita debütierte, konnte Jacqueline du Pré schon nicht mehr auftreten. Ich war immer der Meinung, mein Vater hätte ihr längst solch ein Cello kaufen sollen, schon vor dem Konzert. Ich hatte es ihm gesagt, aber gut, es spielt keine Rolle mehr. Sie haben Nita spielen hören. Sie wissen, daß ihr Spiel ernsthaft ist. Wenn sie tatsächlich spielt, denn die ganze Zeit über hat sie nicht gespielt und Auftritte abgesagt, wie auch immer, sie hat solch ein Cello verdient.«
»Es ist schön«, sagte Michael und glitt mit der Hand über das rötliche Holz. »Es muß ein besonderes Holz sein.«
»Oho«, murmelte Theo. »Jahre des Trocknens in besonderen Prozessen sind erforderlich. Es ist ziemlich aufwendig.«
»Sind die Saiten auch etwas Besonderes? « Michael schlug vorsichtig eine nach der anderen die Saiten an und zupfte die dünne Saite zweimal.
Theo verengte die Augen und sah ihn wachsam an. »Nein. Früher waren sie es. Früher hat man sie aus Därmen hergestellt, vor allem aus den Därmen von Schafen oder Katzen. Die dünnen hat man manchmal auch aus Seide gemacht. Damals konnte man genau wissen, zu welchem Instrument eine Saite gehörte. Jedes Cello hatte seine eigenen Saiten und auch jede Geige. Und an den Knoten konnte man erkennen, wer die Saiten hergestellt hatte, das heißt an den Knoten in den Saiten. Später ist man dann zu Stahl oder Kupfer übergegangen. Als man dann das Nylon erfand, ging man zu synthetischen Saiten über. Das ist ein ganzes Kapitel in der Geschichte des Saiteninstrumentenbaus, insbesondere des Baus von Streichinstrumenten. Aber seit Jahren gibt es gewöhnliche Standardsaiten. Es gibt zwei Sorten, Konzertsaiten und normale Saiten, und mehrere Fabriken, die sie herstellen.« Er stand auf, schüttelte die Beine, steckte die Hände in die Tasche und nahm sein ermüdendes Wandern von Wand zu Wand wieder auf.
»Spielte Nita mit Konzertsaiten oder mit normalen Saiten?
»Selbstverständlich mit Konzertsaiten«, sagte Theo.
»Hier sind nur zwei Ersatzsaiten«, sagte Michael.
Theo blieb nicht stehen, sein Blick war auf den Boden ge richtet, als messe er seine Schritte ab, und er murmelte etwas Unverständliches.
»Wie viele Ersatzsaiten hat sie normalerweise?« fragte Michael, der sich bemühte, den gleichgültigen Tonfall zu bewahren.
Theo zuckte die Schultern. »Keine Ahnung«, sagte er zer streut. »Seit Jahren bin ich nicht mehr über Nitas
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