Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
weiß nicht mehr genau, ob es nach der Probe oder mittendrin war, ich glaube mittendrin. Ich mußte telefonieren. Ich habe ein fürchterliches Gedächt nis. Man kann sich nicht auf mich verlassen. Ja, ich habe wirklich noch nicht daran gedacht. Überall rannten Leute herum. Es war für den Täter nicht ungefährlich. Jeden Moment hätte man ... Aber schließlich hat Nita ihn gefunden.« Plötzlich nahm sein Gesicht einen erschrockenen Ausdruck an. »Sie verhören mich?« Er betonte das letzte Wort. » Sie fragen, wo ich zur Tatzeit war? Soll das heißen ...?« Seine Worte stockten. Die Angst in seinem Gesicht wich der Beleidigung. Seine schönen Lippen bogen sich. »Ich?« fragte er hitzig.
Michael schwieg.
»Das sind Fragen nach dem, was man bei Ihnen Alibi nennt. Fragen Sie mich nach meinem Alibi?«
»Waren Sie die ganze Zeit über auf der Bühne?«
Theo nickte. Der Ausdruck der Beleidigung lag noch in seinen Zügen.
»Wer stand ihm noch nahe, außer Isi?« fragte Michael und sah durch das Fenster auf die Autos, die immer zahlreicher wurden. Zwischen den Streifenwagen drängten sich kon fuse Menschen. Ein paar Gesichter kannte er aus dem Or chester. Journalisten unterhielten sich mit Kameraleuten, die Berichterstatter der beiden Fernsehkanäle waren anwesend. Michael fröstelte es bei ihrem Anblick. Auch wenn er das Gebäude über den Künstlereingang verlassen würde, würden die Kameras vor seinem Gesicht aufblitzen. Er hatte es immer gehaßt, aber diesmal kam es nicht in Frage, auf gar keinen Fall. Sollen sie mit Balilati sprechen, sagte er sich. Vom Fenster aus sah man nur den Haupteingang. Er wußte, daß Balilati durch den Nebeneingang kommen würde.
»Wer ihm richtig nahestand? Vielleicht Nita«, sagte Theo und schluckte. Sein Kehlkopf hob und senkte sich. »Mehr als ich, auf jeden Fall.« Er legte den Kopf zurück und befühlte seinen Nacken. »Sehen Sie«, zögerte er, »ich ... den ken Sie nicht, ich hätte Gabi nicht geliebt! Aber es war kom pliziert. Wir sind ... wir waren sehr verschieden. Wir hatten nicht viele Gemeinsamkeiten. Ich war eher wie meine Mutter, und Gabi war Vaters Sohn.« Die Ränder seiner Lippen zogen sich zusammen. »Wir waren grundverschieden. Auch Nita. Selbst was die Musik angeht, hatten wir ganz unterschiedliche Auffassungen. Obwohl Gabi und ich schon von Kind an Geige spielten. In anderen Musikerfamilien«, sagte er verbittert, »hat man dafür gesorgt, daß jedes Kind ein anderes Instrument spielte. Aber als Gabi eine Geige wollte, hat ihm keiner gesagt ... Sie haben ihm eine gegeben. Und auch zu Dora Sackheim haben sie ihn geschickt.«
»Sie hat ihn verzogen«, sagte Michael.
Theo zuckte die Schultern. Er spitzte die Lippen. Man konnte sich vorstellen, wie er als Kind gewesen war. Verbittert, sich jedoch gleichgültig gebend, hatte er den Charme dessen, der um seine Schönheit wußte. Er war sicherlich nachtragend. Nun senkte er den Kopf und schwieg.
»Haben Sie mit ihm über intime Dinge gesprochen, über private Angelegenheiten?«
Theo blinzelte und sah auf den Boden. »Nein«, gestand er verlegen. »Ich wußte nicht viel über ihn. Und seit die Sache mit Isi herausgekommen war ... Es hat mich verwirrt, ich hatte an diese Möglichkeit nie gedacht. Mein Vater ... der Ärmste – zuerst ich mit all meinen Weibergeschichten, dann Gabi mit seinem Liebhaber und Nita mit dem unehelichen Kind, keiner lebte ein herkömmliches Leben«, kicherte er.
»Hat es Ihrem Vater etwas ausgemacht?«
»Ich weiß es nicht«, gestand Theo. »Wie kann man etwas über einen Vater wissen, der sich entschieden hat zu schwei gen? Er hat auf all diese Bekenntnisse nie reagiert. Als Nita schwanger wurde und dieser Typ – wir haben ihn übrigens nie zu Gesicht bekommen, aber ich habe Erkundigungen eingezogen – sie sitzenließ, in diesem Zustand, und sich nicht einmal dafür interessierte, wie sie ... wie sie das alles überstanden hat ... habe ich Vater auf sie und auf Gabi angesprochen. Sogar sehr diskret, was Gabi betraf, aber Vater hat kein Wort dazu gesagt. Bei ernsten Gesprächen – Sie dürfen nicht vergessen, daß ich nicht oft hier war – pflegte er in dem Sessel zu sitzen, in dem man ihn gefunden hat ... und zu schweigen. Kein Wort hat er gesagt. Nita hat später noch einmal mit ihm gesprochen. Ich glaube, bei ihr war er nicht so wortkarg. Bei mir kam ihm auf jeden Fall kein Wort über die Lippen.«
»Was für ein Mensch ist der Freund Ihres Bruders?«
»Ich kenne ihn kaum. Ich
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