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Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Titel: Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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uns gebracht hatten, wir wollten nichts wissen – nicht, wer die Eltern waren, und auch nicht, was passiert war ... und plötzlich erzählt mir Zohra, dass wir sie bekommen hatten, als sie zwei Monate alt war, und dass sie uns die Schwester, die im Immigrantenlager in Ein Schemer arbeitete, gebracht hat. Alle diese Einzelheiten wusste sie, ich habe keine Ahnung, woher sie sie hatte, und glau ben Sie mir ...«, er schniefte mit seiner großen Nase, »glauben Sie mir, nicht einmal wir wussten, woher sie uns das Baby gebracht hatten, alles, was ich wollte, war, dass meine Frau ... auch ich wollte Kinder, aber meine Frau, sie ... sie weinte jede Nacht, ich habe gesehen, wenn ich ihr kein Kind bringen würde, dann ... und heute kann man sie aus Brasilien oder sonst woher holen ... aber damals konnte man nicht so einfach ein Kind kaufen, doch ich hatte Beziehungen, diese Schwester war aus meiner Stadt, ich hatte ihrem kleinen Bruder zur Flucht aus dem Ghetto verholfen, ich ... egal, ich schaffte ihn hinaus, brachte ihn zu den Partisanen, und seine Schwester ... sie war ... wie man so sagt, ewig dankbar, und sie brachte Tali gleich, nachdem ich mit ihr gesprochen hatte, ich habe es ihr nur einmal gesagt, in einem Cafe in Haifa. Ich bat, nein, ich habe nicht einmal gebeten, ich erzählte es, und einen Monat später kam sie und brachte sie, ohne Fragen, ohne Papiere. Und so konnte ich eines Tages nach Hause kommen und meiner Frau ein Baby in die Arme legen, und das hat ihr Leben gerettet, ich sage Ihnen, es ging um Leben und Tod. Wir wussten nichts, wir wollten nichts wissen, man denkt da nicht an die Eltern, man kann nicht ...«
    »Sie ignorieren auch heute noch«, sagte Michael verwun dert, »dass Sie, damit Sie, oder sagen wir Ihre Frau, aber Sie auch, glücklich und zufrieden würden, das Leben anderer Men schen zerstört haben, und Sie haben nicht einmal ...« Er hielt inne, selbst erstaunt über den Zorn, der in seiner Stimme mitschwang.
    Rosenstein legte den Kopf schief und musterte Michael: »Was wollen Sie denn? Dass es mir Leid tut? Dass ich es bereue? Dass ich um Verzeihung bitte?«
    Michael schwieg.
    »S agen Sie«, flüsterte Rosenstein rau, »hier steht«, er klopfte auf die Artikelseiten, »dass Sie ein Kind haben, einen Sohn, ja? Ihrer? Ihr leiblicher?«
    Michael nickte.
    »Wie könnten Sie dann auch verstehen«, hielt ihm der Rechts anwalt vor, nahm seine Brille ab und polierte sie mit den Rändern seiner Seidenkrawatte. Sein nackter Blick wirkte matt und unzugänglich. »Und überhaupt, wie kann ein Mann in Ihrer Position so ... so naiv sein?«
    »Naiv?«, wiederholte Michael betroffen.
    »Wissen Sie nicht, dass man, wenn man leben will – immer auf Kosten von jemand anderem lebt? Und je besser man leben will, desto mehr lebt man auf Kosten anderer?«
    »Nein, Sie werden sich wundern, aber das heißt nicht«, ent gegnete Michael, »das heißt, ich habe natürlich von extremen Situationen gehört – Menschen, die sich auf einer einsamen Insel gegenseitig auffressen, und ich habe in meinem Leben etliche Mörder, Lügner und Schurken getroffen, solche Dinge, aber dieses ›immer‹, das Sie da sagen, kenne ich wirklich nicht.« Nach kurzer Überlegung fügte er trocken hinzu: »Und ich hege auch großen Zweifel, ob das die richtige Weltanschauung ist. Jedenfalls ist das nicht wirklich ein Axiom.«
    »Was reden Sie da!«, hielt der Rechtsanwalt dagegen und setzte seine Brille wieder auf, »Sie sind doch ein intelligenter Mensch, ich brauche dieses Geschmiere, diesen Dreck da nicht«, er deutete auf die Reportage der Journalistin, »um zu wissen, dass Sie ein intelligenter Mensch sind, und ... Sie verzeihen, das klingt vielleicht nicht schön, aber es ist die Wahrheit – Sie reagieren wie ... wie ein Europäer.«
    »Und was heißt das?«, fragte Michael und verbiss sich ein ironisches Lächeln.
    »Ich ... ich muss sagen ... es war eine Überraschung für mich, als ich hier gelesen habe, dass Sie ursprünglich aus Marokko nach Israel gekommen sind«, gestand Rosenstein, »ich dachte sogar, es müsse wohl ein Irrtum sein, denn Sie benehmen sich ab solut nicht wie ein Marokkaner«, stellte er fest und blickte Michael mit durchtriebender Genugtuung an, als sei er über zeugt, das gesagt zu haben, was sein Gesprächspartner von ihm hatte hören wollen.
    »Tatsächlich?«, erwiderte Michael frostig. Nun grollte er auch sich selbst für das Gefühl der Kränkung, das er überraschend empfand. »Wie verhält sich

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