Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand
denen der übrigen Anwesenden zu begegnen, und schließlich mit einem Exemplar den Raum verlassen hatte und für eine geraume Weile verschwunden blieb.
»Wir sind nicht, was Sie denken«, flehte Rechtsanwalt Rosenstein und faltete sein kariertes Taschentuch, »und das Schreck liche ist nicht nur, dass Zohra tot ist, sondern dass meine Frau, die ich zu schonen versucht habe ... Zohra ... ich weiß nicht, sie hat sich vor einigen Jahren mit diesem Thema infiziert, Familiengeschichte, ich weiß nicht, warum, aber ich glaube, dass ein Mann dahinter steckte, vielleicht ein aschkenasischer Junge, der sie erniedrigte ...
Michael spannte sich. »Also wissen Sie schon etwas über einen Mann in Zohra Bascharis Leben.«
»Nein, nein, nein, das ist ein Missverständnis«, bestritt der Rechtsanwalt hastig, »wenn ich etwas wüsste, glauben Sie mir, ich würde es sagen. Und Sie haben doch alle gefragt – niemand weiß etwas, aber ich meine damit, dass, wenn man bei Menschen nachforscht, die irgendeine Ideologie haben, für die sie kämpfen, das immer mit etwas verbunden ist, was ihnen persönlich widerfahren ist, so denke ich zumindest. Das habe ich im Laufe der Jahre gelernt, und jetzt, wo ich das gesehen habe ...« Er deutete auf die Blätter auf dem Tisch zwischen ihnen.
Michael warf wieder einen Blick auf die umgekehrten Zeilen des Artikels. »Jedenfalls«, fügte der Rechtsanwalt hinzu, »als Zohra bei uns zu arbeiten angefangen hat, war sie schon völlig in dieser ethnischen Geschichte drin und beschäftigte sich unentwegt damit, aber bis vor einigen Monaten hatte ich nie die Geschichte von ihrer Schwester gehört, der, die ...«, er verstummte, musterte den Ärmel seines Anzugjacketts und zupfte ein grausilbernes Fadenende heraus.
»Es wird auch wirklich Zeit«, sagte Michael, »dass Sie erklä ren, wie Sie die Geschichte genau erfahren haben und wie sich die Sache mit dem Wohnungskauf abgespielt hat.«
Der Rechtsanwalt richtete sich auf seinem Stuhl auf. »Es ist nicht, wie sie hier schreibt«, sagte er angewidert und schob die Blätter zur Seite, »es hat nichts mit der Schwangerschaft zu tun, ich habe nie mit Zohra geschlafen, nicht einmal ... das stand nicht zur Debatte, und ich habe keine Ahnung, wie sie an die Information über unsere Tali gekommen ist, denn ...«
»Ich habe gefragt, wie Sie von der großen Zohra erfahren haben und inwiefern die Wohnung damit zu tun hat«, erinnerte ihn Michael.
»Vor ein paar Monaten«, sagte Rosenstein und wandte den Blick ab, »es war im Mai, wie mir scheint, an einem Nachmittag, als wir allein im Büro zurückgeblieben waren, da kam sie zu mir ins Zimmer und schloss die Tür. Ich begriff nicht, was sie wollte. Sie fragte mich, ob ich ein paar Minuten für sie übrig hätte, was ich bejahte, für sie hätte ich alle Zeit auf Erden, doch schon als ich ihr ins Gesicht schaute, habe ich gesehen, dass nichts Gutes bevorstand. Ich kam bloß nicht auf die Idee, dass es mit uns zusammenhängen könnte, ich dachte, es hätte mit ihr zu tun, mit ihrem Leben oder ihren Plänen. Ich dachte ... wollen Sie die Wahrheit hören?«
Michael nickte: »Die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit.«
»Ich dachte, sie käme, um mir zu sagen, dass sie ginge ... dass sie etwas Besseres gefunden hätte ... wollte Gott, es wäre so gewesen ...« Rosenstein verstummte.
»Aber so war es nicht«, bemerkte Michael schließlich, ohne ihn aus den Augen zu lassen, und der Anwalt schüttelte seufzend den Kopf. Er sah Michael nicht an, als er schnell sagte: »Ohne Umschweife und ohne Einleitung sagte sie zu mir, sie habe die Vergangenheit unserer Familie erforscht, inklusive der Tatsache, dass meine Frau ... dass meine Frau keine Kinder zur Welt bringen könne, Tali also nicht unsere leibliche Tochter sei, das waren Zohras genaue Worte, ›nicht Ihre leibliche Tochter‹, und ich fing an zu schwitzen und alles zu leugnen, aber sie schnitt mich messerscharf ab und sagte, ›es hat keinen Sinn, ich habe sämtliche Angaben, und ich weiß auch, dass das Baby, das Ihre Freundin Ihnen aus dem Krankenhaus brachte, meine große Schwester ist, ich kann es beweisen.‹«
»Es war sicher ein Schock für Sie, das zu hören«, bemerkte Michael, nachdem der Rechtsanwalt seinen Kopf gehoben hatte und ihn erwartungsvoll ansah.
»Schock? Schock ist gar kein Ausdruck!«, bestätigte Rosenstein, der aus Michaels Worten offenbar Sympathie heraushörte, »wir wussten schließlich rein gar nichts über das Baby, das sie
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