Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand
Jerusalemer Stadtverwaltung, die ihnen einen Rabbiner schickten, der die spezielle Atmosphäre vor Ort gänzlich ignorierte und nicht jedem Juden, sofern er nur die Tradition einhielt, ermöglichte, an der religiös-kulturellen Erfahrung teilzunehmen, die die lokale Synagoge anbot. Wie konnte er daherkommen, dieser Rabbi Stiglitz, und verkünden, dass die Laubhütte, mit deren Bau und Dekoration sich alle gemeinsam samt den Kindern seit einiger Zeit abgemüht hatten, nicht glatt ko scher sei! Und weshalb? Weil nur eine Hälfte mit Zweigen gedeckt war und daher ein gläubiger Jude nicht darin sitzen konnte – hatte dieser Rabbiner tatsächlich unwiderruflich festgestellt. Und wer sollte bitte jetzt, um zwei Uhr nachmittags, zwei Stunden vor Ein treten des Festbeginns, die zweite Hälfte des Daches, die offen gelassen worden war, noch mit Zweigen auffüllen? Es war auch nicht nur das Laubwerk, das fehlte, auch die künstlerische Ein lage missbilligte dieser Rabbi Stiglitz. Plötzlich fiel ihm ein, »eine Frauenstimme ist unzüchtig«. Gut, dass diese Worte wenigstens Zohra erspart geblieben waren, die verspätet zu dem Treffen gekommen war.
Die ganze Welt ärgerte Natanael Baschari heute. Während er vor der Laubhütte gestanden hatte und der Rabbiner die Dach bedeckung überprüfte, hatte er Linda in dem neuen silberfarbenen Rover gesehen, von dem er sehr wohl wusste, wem er gehörte, und einen Moment später war auch tatsächlich Mosche Avital ausgestiegen, hatte die Wagentür auf ihrer Seite geöffnet, ihr rit terlich seinen Arm gereicht und ihre Einkaufstüten bis zum Haus eingang getragen. Man konnte denken, eine geschiedene Frau sei herrenloses Gut hier und jeder Tripperkranke und Aussätzige könne sich an sie heranmachen. Und wie er sie mit seinen ritter lichen Manieren einseifte, dieser Avital, ein Marokkaner, der sich als Franzose gerierte, und noch dazu ein verantwortungsloser Schürzenjäger. Und wie Linda ihn angeblickt hatte, diesen Avital- Abutbul, mit ganz dankbaren Augen, und als sie Natanael am Eingang der Synagoge stehen sah, hatte sie ihm auch noch mit ihrem weißen Arm fröhlich und heiter zugewinkt, als sei er irgendein zufälliger Bekannter. Und er, Natanael, hatte gegenüber mit dem Rabbiner Stiglitz dagestanden, voller Wut beim Anblick des braunen Tores, das hinter den beiden ins Schloss fiel, die den Pfad durch den Hof zu dem kleinen Haus mit dem flachen Dach entlangschritten. Und wie oft hatte er Linda davor gewarnt, einem Menschen zu trauen, der seinen Namen von Abutbul zu Avital geändert hatte, allein beim Gedanken daran überfiel ihn Brechreiz. Ein Mensch, der hingeht, seinen Namen von Abutbul in Avital ändert und sich als Franzose ausgibt! Und ihn, Natanael, der niemals daran gedacht hatte, seinen Namen zu ändern, beschuldigte seine Schwester nun, sich als Aschkenasi assimilieren zu wollen. Aber Linda? Mit welcher Leichtigkeit sie seine Warnungen in den Wind geschlagen hatte, wo doch alle Wölfe ihr Haus umschlichen seit dem Moment, in dem sie diesen russischen Trunkenbold losgeworden war! Wie sie damals gekichert und gefragt hatte, ob er Gott bewahre vielleicht eifersüchtig sei, als ob sie die Geschichte über Avital nie gehört hätte, der die Ehe der Schalevs zerstört, ja komplett ruiniert hatte, als ob sie nicht Avigail Schalev nächtens mit diesem Avital hätte herumziehen sehen, genau zu der Zeit, in der ihr Mann Tag und Nacht allein in seinem Architektenbüro an der Ausschreibung für das neue Hilton schuftete.
Wegen Rabbi Stiglitz, der seinen Blick von dem Auto zu seinem Gesprächspartner wandern ließ, war Natanael an Ort und Stelle geblieben, hatte nicht die Straße überquert, nicht das Tor geöff net, um ihr ins Haus nachzugehen, so wie er es einige Male in den letzten Monaten unter ähnlichen Umständen getan hatte. Den Bli cken nach, die ihm der Rabbiner zuwarf, schien es, als habe auch ihn das Gerücht vom letzten Skandal der Nachbarschaft erreicht. Hagar hatte es ins Leben gerufen, eines Nachts vor Rosch Hasch ana, als sie an das braune Tor geklopft und aus vollem Hals seinen Namen gerufen hatte. Niemand hatte ihr aufgemacht, und es war nicht nachweisbar, dass er sich wirklich bei Linda aufgehalten hatte. Danach, anstatt »alles offen zu legen«, wie er Linda bei der ersten Gelegenheit zu tun versprochen hatte und wie von einem vernünftigen Menschen auch zu erwarten war, hatte er sich selbst dabei ertappt, wie er seine Frau mit dem feierlichen Schwur beschwichtigt
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