Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand
Originalboden noch erhalten, und um die blaue Matte herum waren die mit Arabesken bemalten Fliesen zu sehen. Im Zentrum der Matte stand der niedrige Kaffeetisch auf seinen zierlichen Beinchen, mit der Glasplatte, auf die Ezra Baschari nun seine Hände aufstützte. Dicke, helle Vorhänge hingen schwer zu beiden Seiten des großen Fensters, vor dem sich Ne’ima Bascharis Rücken vor und zurück, zurück und vor wiegte. Der Schaukelstuhl, in dem sie saß, mit grobem Stoff bedeckt, bewegte sich im Rhythmus ihrer stillen Schluchzer hin und her.
Zila kam ins Zimmer zurück. »Noch keine Antwort von Natanael Baschari«, flüsterte sie Michael zu, »dort hebt keiner ab, ich wollte keine Nachricht hinterlassen.«
»Und die Journalistin?«
»Sie wird in ungefähr zwei Stunden eintreffen«, berichtete Zila, »ich habe sie gebeten, hierher zu kommen.« Michael blickte auf seine Uhr und verzog skeptisch das Gesicht.
»Was kann ich machen?«, fragte sie, »sie braucht zwei Stunden, um herzukommen, hat sie gesagt. Sie hat kein Auto und wir haben niemanden, den wir schicken könnten, um sie abzuholen. Sie ist jetzt in Rischon Lezion. Interviewt irgendeine, die die Zukunft prophezeit, im Kaffeesatz liest.«
Im Block gegenüber, auf dem Balkongeländer im zweiten Stockwerk, hing ein Teppich mit persischem Muster. Eine Frau mit buntem Kopftuch schlug kräftig mit einem Strohklopfer auf ihn ein, und als sie ermüdete, stützte sie sich aufs Geländer und schaute sich um. An der Zaunmauer darunter lehnte ein dickes Mädchen in einem blauen Trainingsanzug, der ihr schon zu klein war, und umklammerte eine Lederleine, die ihr ins Fleisch schnitt. Am Ende der Leine kämpfte ein kleiner Pudel und zerrte in die entgegengesetzte Richtung.
»Mir kommt vor, wir hätten da was für Sie«, hatte der Dienst habende Wachtmeister am Morgen des Feiertags gesagt. Ganz in der Früh waren die Eheleute Baschari zu ihm gekommen, um eine offizielle Vermisstenanzeige wegen ihrer Tochter aufzugeben, und nachdem er sich ihre Beschreibung angehört und das Bild an geschaut hatte, das die Mutter ihm vorlegte, hatte er sofort das Gefühl gehabt – wie er Michael über die interne Leitung zuflüsterte –, »dass das die eine ist, die ihr gefunden habt«.
In Michaels Büro nestelte Ne’ima Baschari mit zittrigen Fingern ihren Ausweis aus einer abgewetzten Plastiktüte und reichte ihn Dani Balilati, der sich beim Eintreten der Eheleute von der Tür wegbewegt und seine Klagerede zum Thema Wohnungen, die er von dort aus geschwungen hatte, einstweilen eingestellt hatte. Stumm ließ er sich auf einem niedrigen Stahlschränkchen nieder und nahm das Foto entgegen, das ihm Ne’ima Baschari reichte: ein schwarzhaariges Mädchen im weißen Kleid, dem die glatten Strähnen bis auf die Schultern fielen, mit hohen Backen knochen, die Augen zusammengekniffen, und einem breiten Lächeln, das Grübchen in seine Wangen prägte. Danach studierte er den Ausweis, und als er sich aufrichtete, streckte er seinen ohnehin schon dicken Bauch heraus – der unterste Knopf seines rosa Hemds drohte abzuplatzen. Er verzog sein Gesicht auf eine Art, die Michael nur zu gut kannte; selbstgerechter, giftiger Spott war dort zu sehen, und seine kleinen Augen wurden noch schmäler.
»Hast du die Adresse gesehen?« Er reichte Michael das Foto und den Ausweis. Michael warf einen Blick darauf und verbarg sein Entsetzen hinter einem gelassenen Schulterzucken. »Zwei Straßen weg von dir«, zischte ihm Balilati zu, »zwei Straßen weiter von da, wo du dich eingekauft hast!«
»Der Wunder sind kein Ende«, meinte Michael mit gespielter Gleichgültigkeit und gab Ne’ima Baschari ihren Ausweis zurück. Sie schlug ihn wieder in das Plastiktütchen ein, faltete Schicht um Schicht, verstaute das Ganze tief in ihrer Tasche und schaute sie hoffnungsvoll an. Michael studierte weiterhin das übers ganze Gesicht lächelnde Mädchen, nahm eine Einschätzung der Gesichtskonturen vor.
»Wir wollten mit unserem Sohn, Natanael, kommen«, sagte die Mutter, »er ist Professor an der Universität, er kennt sich aus mit ... er weiß mehr ... aber wir haben ihn nicht gefunden. Alle unsere Söhne, wir konnten sie nicht erreichen«, erklärte sie. »Meine Schwiegertochter ... ich habe gestern meine Schwiegertochter angerufen, aber sie hat sie nicht gesehen, und sie hat auch gesagt, dass mein Sohn, Natanael, sie schon seit ein paar Tagen nicht gesehen hat, aber sie hatte gerade ... es waren Leute bei ihr,
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