Ochajon 06 - Und Feuer fiel vom Himmel
ich wusste es nicht, ist es ein seltenes Medikament?«
»Nein, das würde ich nun nicht sagen«, erklärte Lilian, als sei sie Expertin darin, »es ist ein Medikament zur Regulierung des Herzschlags, und das ist das Medikament, das Sie für Ihre Mutter gekauft haben, und jetzt sagen Sie mir plötzlich, dass Sie nicht wissen, worum es sich handelt?«
»Möglicherweise habe ich etwas durcheinander gebracht«, gestand Rubin ein.
»Und um sechs Uhr abends, oder wann immer das war?«, fragte Lilian.
»Was? Was um sechs Uhr abends?« Rubin blickte verwirrt auf seine Uhr. »Vielleicht sagen Sie mir endlich, wo Benni ist? Warum antworten Sie nicht auf meine Fragen? Ich will mit ihm reden, und Ihr Tempo ist wirklich …«
»Nein, beim zweiten Mal, als Sie mit Genehmigung hinausgegangen sind«, erklärte Lilian und ignorierte seine gereizte Reaktion vollkommen, »Sie sagten, das sei um sechs gewesen?«
»Was wollen Sie eigentlich von mir?!«, verlangte Rubin mit der offenen Empörung eines unschuldig Verfolgten zu wissen. »Großer Gott!«, rief er zornig. »Das war mit einem ganzen Team – mit Fotograf, Soundmann und allem, wir sind nach Umm-Tuba gefahren, wissen Sie etwas von Umm-Tuba?« Jetzt löste ein giftiger Ton die erregte Empörung ab. »Die blanke Aggression«, erklärte Zila nachher, als sie die Videoaufnahme abspielten, auf der Rubins bleiches Gesicht und Lilians Rücken zu sehen waren. »Sie hat ihn dazu gebracht, die Beherrschung zu verlieren«, sagte sie anerkennend und beschwerte sich nicht im mindesten über Lilian.
Doch Lilian war während des ganzen Verhörs noch angespannter als sonst bei dem Gedanken, dass Zila dort mit der Truppe jenseits der Wand saß und sie genau beobachtete, in Erwartung ihres Scheiterns. Verhöre waren ihr wahrlich nicht fremd, im Gegenteil, man hatte sie schließlich wegen ihres einschlägigen Talents geholt, nicht nur bei ihrer Aufgabe als Ermittlerin der Abteilung Jugendkriminalität, sondern weil sie auch Drogenhändler, Eltern und alle Beteiligten in der Drogenabteilung verhört hatte – und nun hörten sie hinter der Wand mit. »Das ist ein ganz zentrales Verhör«, hatte Zila davor zu ihr gesagt, wobei sie ihren Blick vermieden hatte, und Lilian hatte sie stumm angesehen und bei sich gedacht, dass Zila ganz sicher nicht gewollt hatte, dass sie es durchführte. Man hatte sie garantiert gezwungen, sie zu akzeptieren, dachte sie jetzt, erschrak einen Augenblick und erinnerte sich dann selbst daran, dass schließlich keiner hier, nicht einmal Zila, Gedanken lesen konnte, auch Ochajon nicht.
»Ja, ja«, erwiderte Lilian ungeduldig, als wüssten beide, dass Rubin seine Zeit umsonst vergeudete, »aber es hat sich doch herausgestellt, dass Sie sie dann zurückgeschickt haben, allein zurückgekehrt sind und eben nicht die ganze Zeit mit ihnen zusammen waren.«
»Nach den Befragungen und den Filmaufnahmen«, entgegnete Rubin, »wollte ich allein mit der Mutter des Jungen im Dorf reden. Wenn man allein miteinander spricht, ohne Team und ohne Kameras, sieht es anders aus. Sie hat mit mir zusammengearbeitet ohne … das war mir sehr wichtig für die Reportage … da wusste ich noch nicht, dass sie mich suspendieren … wenn man das suspendieren nennt …«
»Sie sind also dort geblieben, um mit der Mutter des Jungen zu reden, der der Held Ihrer Reportage ist?«, fragte Lilian, den Blick auf ihre Aufzeichnungen geheftet, als verifizierte sie seine Aussage.
»Ja, das ist die Sendung über die Ärzte, die mit dem …«
»Ja, ja«, unterbrach ihn Lilian, »wir wissen sehr gut, um welche Sendung es geht, über den Palästinenser, der vom Geheimdienst gefoltert wurde. Darauf sind Sie gerade fixiert, ist es nicht so?« Lilian versuchte nun, provokativ zu klingen, und sie gewahrte ein hastiges Blinzeln bei Rubin, der jedoch schwieg (»Was hast du für politische Ansichten?«, hatte Balilati sie gefragt. »Sag nichts«, fügte er schnell hinzu, »ich weiß schon, ich hab nicht vergessen, wo du herkommst« – sie hatte sich schon öfter darüber geärgert, wenn sie auf ihr revisionistisches Elternhaus anspielten, als sei das der Grund für ihre politischen Anschauungen –, »dann wirst du ja kein Problem haben, ärgere ihn ein bisschen«, hatte er ihr am Telefon befohlen, »das holt immer das Beste aus ihnen raus«). »Wir wissen, wie treu ergeben Sie dem Kampf um die Menschenrechte sind. Sie suchen nach der Gerechtigkeit bei dem, was man mit dem palästinensischen Jugendlichen
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