October Daye - McGuire, S: October Daye
Hilfe brauche, rufe ich April«, sagte er und zwang sich zu einem beruhigenden Lächeln.
»In Ordnung, Elliot.« Sie ging auf die Tür zu. Wir schlossen uns ihr an.
»Was denkst du?«, raunte ich Quentin zu.
»Ich denke, wir sollten eine Spur aus Brotkrümeln hinterlassen«, antwortete er.
Ich lachte freudlos und beschleunigte meinen Schritt.
Der Weg führte durch eine Reihe gewundener Gänge, die sich, wenn man nach den Fenstern ging, über etliche Stockwerke verteilten. Allerdings lernte ich allmählich, bei ALH meinen Augen nicht zu trauen. Als wir anhielten, war ich so orientierungslos, dass ich nicht wusste, ob wir uns auf dem Dach, im Erdgeschoss oder in Manhattan befanden. Den letzten Flur erhellten trübe Neonröhren, und den Boden überzog graues Industrielinoleum. Die einzige Tür weit und breit war in mattem Orange gestrichen, mit gelben Rändern. Auf einem Schild in Augenhöhe stand: ›Achtung: Gefahrengut. Eintritt verboten.‹
Jan sah, wie ich es betrachtete. »Das ist ein Witz. Es hängt schon seit Jahren hier. Wir haben es nicht extra angebrach t … «
»Schon gut«, fiel ich ihr schärfer als beabsichtigt ins Wort. »Können wir es hinter uns bringen?«
»Klar.«
Die Treppe dahinter führte fast senkrecht hinab in einen hell erleuchteten Raum. Computerteile und Büromöbel stapelten sich an den Wänden und ließen darauf schließen, dass dies als Lager gedient hatte, bevor es zum Behelfs-Leichenschauhaus wurde. Die Luft war kalt und roch leicht bitter, wie Maschinenöl und Teppichreiniger. In der Mitte standen drei Armeepritschen, zugedeckt mit weißen Baumwolllaken, unter denen sich unverkennbare Formen abzeichneten. Die Toten haben eine ganz eigene Geometrie.
Jan blieb am Fuß der Treppe stehen. Zähneknirschend schob ich mich an ihr vorbei und ging zu einer Pritsche.
»Jan?«
»Ja?«
»Kommen Sie her. Quentin, du auch.« Es hatte keinen Sinn, ihn zu schone n – früher oder später musste er sich dem Ernst unserer Lage stellen.
Beide kamen mit Leichenbittermiene heran. Quentin versuchte stoisch dreinzuschauen, Jan sah nur traurig aus. Ich hielt eine Hand über das Laken und fragte: »Ist da s … ?«
»Barbara«, sagte Jan. »Sie war die Erste.«
»Alles klar.« Ich betrachtete die Form durch das Laken und versuchte eine Vorstellung von der Leiche zu bekommen, bevor ich ihre Ruhe störte. Unter gewöhnlichen Umständen überlasse ich Tote den Nachtschatten und der Polize i … aber die Nachtschatten hatten sich ausgeklinkt, und die Polizei konnte ich nicht hinzuziehen, da die Leichen zu offensichtlich nicht menschlicher Abstammung waren. Somit blieb nur ich. Ich fasste zu und zog das Laken von Barbaras Gesicht. Jan wandte sich ab. Quentin legte eine Hand über den Mund, und seine Augen weiteten sich.
Barbara war wunderschön, sogar im Tod. Ihre Wangen schimmerten rosig, und ihre Lippen hatten ein natürliches Rot, wodurch sie aussah wie eine Disney-Prinzessin auf der Kinoleinwand. Ihr Haar bildete eine lange, karamellfarbene Mähne, und Fellbüschel derselben Farbe zierten ihre spitzen Ohren. Die einzigen Makel an ihr waren die Einstiche an den Handgelenken und am Hals, die genau denen entsprachen, die ich bei Colin gesehen hatte. Auch hier hatten sie die Hauptschlagadern eindeutig verfehlt und doch genauso eindeutig zum Tod geführt.
»Tob y … «
»Ich weiß, Quentin. Jan?«
»Ja?«
»Sie wissen, wen wir sehen sollten. Ist das Barbara?«
»Ja.« Sie klang angespannt.
Ich konnte nachvollziehen, wie sie sich fühlte. »Wann ist sie gestorben? Ich brauche ein Zeitfenster.«
»Irgendwann im Laufe des Wochenendes um den Heldengedenktag. Am Freitag blieb sie länge r – sie musste einen Termin einhalte n – , da wurde sie zum letzten Mal lebend gesehen. Terrie fand sie auf dem Boden der Cafeteria, als sie am Montag kam.«
»Barbara war bereits tot?« Ich bückte mich, öffnete ihr linkes Lid und starrte auf die jadegrüne Regenbogenhaut. Ihre Pupille verengte sich nicht. Ich ließ los.
»Sie wa r … so wie jetzt.«
»Hat Terrie den Puls überprüft oder Wiederbelebungsversuche unternommen?«
»Sie sagte, Barbara sei kalt gewesen und habe nicht reagiert, als sie ihren Namen rief.« Jan verzog das Gesicht. »Sie konnte ja keinen Krankenwagen rufen. Sie kann keinen Trugbann weben, der die Sanitäter lange genug täuschen könnte, wenn die Nachtschatten nicht kommen.«
»Gibt es denn hier keine Überwachungskameras?« Ich fuhr mir mit beiden Händen durchs Haar. »Oder
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