October Daye: Nachtmahr (German Edition)
hörte. Ich legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: »Quentin.« Er sprang auf die Füße, schaffte es aber, nicht aufzuschreien, als er herumwirbelte. Gut, er lernte dazu.
Ich verschränkte die Hände hinter dem Rücken und grinste ihn an. »Na? Hab ich dir gefehlt?« Spike zirpte zur Begrüßung und rasselte mit den Dornen.
»Ich – du – ich – «, stammelte er.
»Ja, ich hab mich an dich rangeschlichen, und du hast nichts gemerkt«, sagte ich und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie froh ich war, ihn lebendig und unversehrt vorzufinden. »Wäre ich etwas Feindliches gewesen, wärst du jetzt tot. Hast du alles vergessen, was ich dich gelehrt habe? Jetzt gib mir meine Kerze wieder.«
Er starrte mich mit großen Augen an, dann schlang er die Arme um mich und drückte mich so fest, dass ich fürchtete, etwas könnte zerbrechen. Zum Beispiel mein Genick. »Hey! Quentin, komm, lass los – «
»Ich dachte, du wärst tot! «, schluchzte er. »Du bist hingefallen, und dann kam diese Frau aus dem Wald, und ich versuchte dir zu folgen, aber die Bäume wurden immer dichter, und ich konnte nichts mehr sehen – «
»Ach, Quentin.« Ich nahm ihn in die Arme, so gut das bei dem Größenunterschied ging, und hielt ihn fest, bis das Zittern aufhörte. »Ist ja gut, ich hatte auch Angst.« Er war ein tapferes, großmäuliges, lästiges, eigenwilliges Kind, das mit mir schon eine Menge durchgemacht hatte, aber er war immer noch ein Kind. Wenn er ein paar Minuten brauchte, um sich zu beruhigen, sollte er die haben. Auch wenn ich ihm gesagt hatte, er solle zu Hause bleiben.
Schließlich trat er zurück und rieb sich die Augen. Ich sah ihn an und fragte: »Alles in Ordnung?« Als er nickte, tat ich das auch. »Gut. Was ist passiert? Wie bist du ihnen entwischt?«
»Nachdem du mir die Kerze gegeben hast, war es, als könnten sie mich nicht mehr sehen.«
»Gut, das bedeutet, dass der Zauber der Luidaeg nicht nur mich schützt. Wenn irgendwas passiert, kannst du die Kerze nehmen und nach Hause kommen.«
»Nicht ohne dich«, sagte er stur, »und nicht ohne Katie.«
»Meinetwegen«, sagte ich und unterdrückte einen Seufzer. »Trotzdem gut zu wissen, dass es geht, wenn es nötig werden sollte.«
»Bist du verletzt? Du wurdest getroffen. Ich hab es gesehen.« Quentin bückte sich, um mein Bein zu betrachten und seinen unbeholfenen Themawechsel zu kaschieren. Ich ließ ihm das durchgehen, schnappte ihm aber die Kerze aus der Hand. »Hey!«
»Selber hey«, sagte ich. »Es ist meine Kerze, und es geht mir gut. Acacia hat mich geheilt.«
»Acacia?«
»Die Frau, die du gesehen hast, als sie mich wegtrug. Sie hat mich geheilt und mir gesagt, wo ich dich finde.«
»Aber warum?«
»Damit wir die anderen retten können. Komm jetzt. Wenn wir uns noch ein bisschen bei den Bäumen halten, kommen wir nachher besser über die Ebene, ohne gesehen zu werden.« Ich ging los, um die Unterhaltung zu beenden, wenigstens fürs Erste. Wenn er mir zu viele Fragen stellte, erzählte ich ihm am Ende noch, was ich über Luna erfahren hatte, und dazu war ich nun wirklich nicht befugt.
Was immer Acacia genau war, ich wusste genug, um mir Sorgen zu machen. Ich wusste, sie war eine Erstgeborene, sie war alt, vielleicht so alt wie die Luidaeg, und sie nannte eine meiner besten Freundinnen »Tochter«. Die Folgerungen aus all dem bereiteten mir ziemliches Kopfzerbrechen. Ich versuchte mich an das Wenige zu erinnern, was ich über Lunas Vergangenheit wusste – wo sie herkam, wo sie gewesen war, bevor ich sie kannte. Das war nicht viel. Der allgemeinen Legende zufolge war sie bereits da gewesen, hatte ihre Rosen gepflegt und gewartet, als Sylvester kam, um das Herzogtum Schattenhügel zu begründen. Als er auftauchte, hatte sie angeblich nur gelächelt und gesagt: »Ihr kommt infrage.« Sie heirateten am selben Tag, an dem der Mugel geöffnet wurde.
Gab es sonst noch etwas? Sie hatte ein- oder zweimal ihre Eltern erwähnt, aber nie etwas Genaueres über ihre Vergangenheit gesagt. Allenfalls so etwas wie: »Ich war die Jüngste, die anderen waren schon erwachsen, als ich kam«, oder: »Meine Mutter hat mich den Umgang mit Rosen gelehrt.« Japan hatte sie niemals erwähnt, nicht ein Mal, obwohl die Kitsune dort herstammten. Sie war auch keine Japanerin. Luna war die einzige weiße Kitsune, die ich je gesehen hatte. Lily konnte eine perfekte Teezeremonie durchführen, Luna hatte das nie getan. Sie servierte Rosenwein, ja, und Milch mit
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