October Daye: Nachtmahr (German Edition)
Er klang zutiefst resigniert. Irgendwie war das schlimmer, als wenn er wütend gewesen wäre. »Warum hast du das nur getan?«
»Weil ich musste.« Weil dieser Irre meine Kleinen geraubt hat, und mein Holing war eh schon da, also hatte es wenig Sinn, mich zu drücken. Weil ich es jemandem schuldig war. Und weil es sonst niemand übernahm. »Ihr wusstet, dass ich ihm folgen würde. Was habt Ihr denn erwartet?«
»Ich habe gehofft, du würdest einen weniger riskanten Weg finden.« Er warf Luna einen Blick zu. Sie schaute beschämt zur Seite. »Und wenn das schon nicht möglich war, hätte ich mir gewünscht, dass du wenigstens jemanden mitnimmst.«
»Irgendeine Idee, wen?« Ich seufzte. »Quentin ist mir auf eigene Faust gefolgt, sonst hätte ich nicht mal ihn dabeigehabt. Ich gebe mir Mühe, nur meinen eigenen Hals zu riskieren.«
Sylvester schüttelte wieder den Kopf. »Du denkst wohl nie an deine eigene Sicherheit, oder?«
»Na ja, wenn man danach geht, was mir die Leute ständig erzählen, dann hab ich diese spezielle Macke von meiner Mutter«, erwiderte ich. »Aber ich habe es wohl auch von Euch.«
»Nichts davon hast du von deiner Mutter«, sagte er, streckte die Hand aus und strich mir die Haare aus dem Gesicht. »Sie wäre niemals gegangen. Und jetzt ist Schluss damit. Du willst doch kein Held sein.«
»Das wollte ich nie«, murmelte ich mit einem Seufzer. »Vergebt Ihr mir?«
»Immer.« Er ließ sich auf ein Knie nieder und zog mich an sich. Am liebsten wäre ich da geblieben und hätte für ein Weilchen einfach nur seine Umarmung genossen – er ist das Vater-Ähnlichste, was ich habe, und ich konnte ein bisschen Trost und Bestätigung vertragen. Aber Quentin brauchte mich noch dringender als ich Sylvester, und ich trug Verantwortung. Mit einer gemurmelten Entschuldigung schlüpfte ich aus seinen Armen und ging zu Quentin, der bei Katie wartete.
Quentin streichelte mit dem Handrücken Katies Haar und starrte in ihre weit geöffneten, blicklosen Augen. Schwer zu sagen, ob er von meinem Gespräch mit Sylvester nach seinem Einwurf überhaupt etwas mitbekommen hatte. Er war weit weg, völlig in Anspruch genommen von seinem ganz persönlichen drohenden Verlust.
Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Wie geht es ihr?«
Er drehte sich um und sah mich an. Sein Blick flehte, ich möge ihm sagen, dass alles gut würde. Doch das konnte ich nicht. »Was hast du mit ihr gemacht?«
»Das ist bloß ein kleiner Verwirrzauber, mehr bringe ich nicht zustande. Sie verfällt ganz von selbst. Ich bin nicht fähig, ihren Untergang aufzuhalten.« Ich sah Luna und Sylvester an. »Könnt Ihr ihr helfen?«
»Das Geschehene ungeschehen machen?« Luna schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht … wir können nicht … nein. Wir können gar nichts für sie tun.«
Warum glaubte ich ihr nicht? Ohne Luna aus den Augen zu lassen, fragte ich vorsichtig: »Ist Blind Michael so mächtig?«
Sie lachte humorlos. »Du machst dir keine Vorstellung.«
»Tja, nun ja. Es gibt wohl kein Handbuch zum Thema Erstgeborene.« Quentin erschauerte unter meiner Hand. Ich verstärkte meinen Griff. »Ich scheine bloß ständig über sie zu stolpern.«
Luna stieß einen leisen, schmerzlichen Laut aus. Dann rang sie sichtlich um Fassung, ehe sie fragte: »Wie viele … wie viele von den Kindern konntest du rausholen?«
»Die, wegen denen ich losgezogen bin, dazu so viele weitere, wie mir nur möglich war. Über zwanzig, alles in allem.« Ich behielt sie scharf im Blick. »Katie ist das einzige menschliche Kind, das ich mitnehmen konnte.«
»Du hast meinem – du hast Blind Michael über zwanzig Kinder entführt?« Lunas Augen weiteten sich ungläubig.
»Sie standen ihm nicht zu«, antwortete ich einfach.
»Oh, Toby. Oh, Liebes.« Sie wiegte den Kopf und schloss die Augen. »Hast du eine Ahnung, was du da getan hast?«
»Nur das, was ich musste.« Ich wandte mich an Sylvester. »Können sie vorerst hier bei Euch bleiben? Ich muss mich noch um die anderen kümmern.«
»Natürlich«, sagte er. »Hier sind sie sicherer als sonst irgendwo.«
Wunderbar: Eine Sorge weniger. »Prima.«
»Bist du verletzt?«
»Nicht ernstlich. Ein bisschen zerschrammt, und ich könnte ein paar Pflaster für meine Hände gebrauchen, aber im Grunde bin ich nur fertig und geschafft.« Ich blickte wieder Luna an. Betont langsam zog ich die schwarze Rose aus meinem Haar und hielt sie ihr hin. »Ich habe Euch ein Geschenk mitgebracht.«
Sie erbleichte und starrte auf
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