October Daye: Winterfluch (German Edition)
Anschein haben mochte, denn ich fragte nicht nur, ob sie hier auf mich warten durften; ich fragte, ob Luna sich um sie kümmern würde, sollte die Luidaeg mir nicht gestatten zurückzukehren. Dare hatte mich gebeten, ihr und Manuel aus dem Heim zu helfen. Weit konnte ich sie damit zwar nicht bringen, aber immerhin bis nach Schattenhügel, und Sylvester würde nicht zulassen, dass Devin sie zurückholte, wenn sie nicht gehen wollten. Hier würden sie sicher sein, wenn sie es wollten.
Luna nickte. »Selbstverständlich. Sie essen gerade und quälen Quentin; ich rede mit ihnen, nachdem du gegangen bist.« Sie legte den Kopf schief und lauschte auf etwas. »Hört sich an, als hätten sie beschlossen, ihm eine neue Form von Poker beizubringen. Der arme Quentin.«
»So sind sie, meine Kinder.« Ich grinste.
»Genau. Sie kommen in der Tat ganz nach dir. Weißt du, wie du die Luidaeg findest?«`
Ich überlegte kurz. »Nein. War bisher noch nie nötig.«
»Dachte ich mir.« Sie schnippte mit den Fingern. Ein dorniges Gesicht tauchte im Gebüsch auf. »Hallo, mein Lieber. Toby braucht eine Eskorte.« Der Rosenkobold rasselte mit den Dornen, während er hervortapste und sich vor sie setzte, dann richtete er die lebhaften gelben Augen auf mich.«
»Hallo du«, sagte ich erfreut. »Schön, dich wiederzusehen.« Das Wesen öffnete den Mund und tschilpte. Offenbar freute es sich ebenfalls. Es ist doch immer schön, wenn sich jemand an einen erinnert.
»Er wird dich dorthin führen, wo du hinmusst«, erklärte Luna und trat zurück. »Vertrau ihm, aber lass ihn nicht aus den Augen, bis du dein Ziel erreicht hast.«
»Was ist, wenn ich es doch tue?«
»Du würdest es bereuen.« Sie lächelte traurig. »Komm einfach zurück, ja? Wir haben schon einmal um dich getrauert. Das möchte ich lieber nicht wiederholen.«
»Steht auch nicht auf meiner Liste zu vollbringender Taten, Euer Gnaden.« Ich richtete mich auf, fand das Gleichgewicht wieder und sah den Rosenkobold an. »Wann immer du bereit bist.«
Er nieste, setzte sich im Laufschritt in Bewegung und steuerte auf den Rand des Gartens zu. Mir blieb keine Zeit, nachzudenken oder mich zu verabschieden; ich preschte einfach hinterher und fand irgendwie die Kraft zu rennen. Hinter mir rief Luna: »Vertrau dem Kobold!« Im selben Augenblick sprang das Wesen und verschwand durch die Steinwand.
Luna hatte mich noch nie in die Irre geleitet. Sie konnte zugleich gebieterisch und vage sein, aber sie hatte mich noch niemals belogen. Also lief ich weiter und sprang, ohne innezuhalten.
Die Wand teilte sich wie Nebel und öffnete sich zu einem langen Tunnel. Der Kobold zeichnete sich drei Meter vor mir als ein beweglicher grüner Strich in der Dunkelheit ab. Ich heftete die Augen auf seinen Rücken, ignorierte mein Seitenstechen und raste hinter ihm her. Er sprang gegen eine weitere Wand, verschwand abermals, und ich folgte ihm. Diesmal landete ich auf einem wackligen Theatersteg. Der Kobold blieb stehen und blickte über die Schulter zurück, um sich zu vergewissern, dass ich mich noch hinter ihm befand. Dann trat er an den Rand des Stegs und machte einen Satz in die Dunkelheit.
Mitgehangen, mitgefangen. Ich sprang auch diesmal hinterher und schaffte es, nicht zu stolpern, als meine Füße auf festen Boden trafen. Der Kobold rannte weiter, und ich folgte ihm in die Finsternis.
Kapitel 23
N ach dem letzten Sprung standen wir an der Mündung einer Gasse in einem Stadtteil, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Über uns kreischten Möwen. In der Luft hing der Gestank von Müll, in den sich der vom Wind herbeigewehte Geruch von verrottetem Fisch und Motoröl mischte. Wir mussten uns in der Nähe der Docks befinden, und zwar in keinem der schöneren Gebiete. Es war Wasserhexenterritoriu m … und was immer die Luidaeg noch sein mochte, auf jeden Fall war sie eine Wasserhexe.
Jedes Kind, das in Faerie aufwächst, hat von der Luidaeg gehört. Sie gilt noch mehr als Schreckgespenst als Oleander, deren Geschichten erst wenige Jahrhunderte alt sind. Die Luidaeg hingegen zählt seit dem Anbeginn Faeries zu den Kindheitsschrecken im Reich der Fae. Meine Überzeugung, dass dies eine schlechte Idee war, nahm noch weiter zu.
Der Rosenkobold setzte sich und gähnte. Ich musterte ihn. »Das ist es? Sind wir da?« Zufrieden rasselte er mit seinen Dornen. Offenbar. Stirnrunzelnd drehte ich mich um und betrachtete die Gasse.
Müllhaufen türmten sich an den Mauern, Pfützen abgestandenen Wassers
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