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October Daye: Winterfluch (German Edition)

October Daye: Winterfluch (German Edition)

Titel: October Daye: Winterfluch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seanan McGuire
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sie in den Händen. Alle drei Gefäße zierten gekrümmte schwarze Linien, die an die Wölbung von Kirschzweigen oder von Knochen erinnerten. »October. Komm, setz dich. Bitte.«
    »Hallo, Lily«, begrüßte ich sie, ging zu ihr und kniete auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches nieder. Die Pistole in meiner Tasche drückte mir gegen die Haut. Ich spürte das Eisen wie eine beginnende Erfrierung durch meine Kleider hindurch. »Tut mir leid, dich so zu überfallen, aber ich brauch e … «
    »Ich weiß, was du willst.« Sie beugte sich über den Tisch und füllte die erste Tasse. »Ich wusste, dass es dazu kommen würde, als ich erfuhr, dass Ross dabei starb, als er dich begleitete; dass der König der Katzen außerhalb der Umfriedung meines Lehens einen Mann getötet hat und dass Julie keine Gefälligkeiten meinerseits mehr in Anspruch nehmen würde.« Ein gepeinigter Ausdruck huschte über ihre Züge, flackerte kurz auf und war sogleich wieder verschwunden.
    Ich zuckte zusammen und wandte den Blick ab. »Lily, es tut mir so leid. Ic h … «
    »Du ähnelst deiner Mutter mehr, als du offenbar glauben willst«, fiel sie mir ins Wort und seufzte. »Bist du sicher, dass es keine andere Möglichkeit gibt?«
    »Ich bin sicher«, erwiderte ich und wandte mich ihr wieder zu. Ich hasse es, wenn ich mir die Dinge als Letzte zusammenreime, aber allmählich gewöhne ich mich daran, zumindest im Zusammenhang mit Lily. »Ich muss es wissen.«
    »Du magst die Tochter deiner Mutter sein, October, aber du bist nicht Amandine. Für dich ist das nicht so sicher, wie es für sie wäre. Finde einen anderen Weg.«
    »Es gibt aber keinen«, entgegnete ich und verkniff mir ein verbittertes Lachen. Sie hatte keine Ahnung, wie gefährlich dies war. »Mir läuft allmählich die Zeit davon. Ich muss es wissen.«
    »Warum?«
    Ich sah sie nur an. Eine ganze Weile hielten wir dieses Patt, bevor sie die Kanne abstellte und die schwimmhäutige Hand um den Griff geschlungen ließ.
    Mit leiser Stimme sagte Lily: »Bitte, tu das nicht. Für dein Überleben, für deine geistige Gesundheit. Bitte. Kann ich dicht nicht dazu bewegen, es dir anders zu überlegen?«
    »Es tut mir leid, Lily. Ich habe keine anderen Möglichkeiten mehr.«
    »Gib es mir«, forderte sie mich auf und streckte die Hand aus. Ich reichte ihr das Hemd. Sie ergriff es und entfernte den Deckel von der Teekanne. Sie war leer. Mit ernster Miene stopfte sie das Hemd hinein und legte den Deckel wieder darauf, bevor sie die Teekanne schüttelte. Das machte ein schwappendes Geräusch, und Lily nickte offenkundig zufrieden. »Deine Tasse bitte, October.«
    Ich ergriff die noch leere Tasse, und sie neigte die Kanne darüber. Die Flüssigkeit, die nun herausströmte, war dick und rot und dampfte in der kühlen Luft. Ob sie auch Wasser enthielt, vermochte ich nicht zu sagen; sie sah schlicht und ergreifend wie Blut aus.
    »Octobe r … «, setzte Lily an. »Noch ist es nicht zu spät. Stell die Tasse ab und finde einen anderen Weg.«
    »Es gibt keinen«, wiederholte ich und hob die Tasse an die Lippen.
    Das Blut fühlte sich auf meiner Zunge heiß an und schmeckte nach Kupfer. Beinah hätte ich gewürgt, dann jedoch verflog der Geschmack und wurde durch den scharlachroten Schleier der Erinnerungen von jemand anderem ersetzt.
    Die ersten, die einsetzten, begleitete das süßliche, durchdringende Aroma von Poleiminze, und sie wirkten wie durch ein goldenes Sieb gefiltert. Eine Gasse, kurz vor Sonnenaufgang. Mein Gesicht, betrachtet durch die Augen von jemand anderem. Mein Haar war vom Laufen wild verweht, meine Züge erschienen müde und dauerhaft gequält. Sie ist also zurück , sprach Tybalts Stimme leise in meinen geistigen Ohren. So lange verschwunden, und jetzt ist sie zu uns, zu mir zurückgekehr t …
    Das war nicht die Erinnerung, die ich brauchte. Ich zwang mich zurück in meinen Körper und trank einen weiteren Schluck von Lilys »Tee«, folgte dem Blut tiefer hinein, vorbei an jenen halb goldenen Erinnerungen und in etwas Dunkleres und weit weniger Vertrautes.
    Die Erinnerungen, die diesmal aufstiegen, waren bitter-grau unter dem Rot, sie schmeckten nach Weißdorn und Asche. Esche und Dorn mögen mich bewahren, ich hatte gefunden, wonach ich suchte.
    … es wäre eine einfache Aufgabe, sehr einfach, wenig zu tun. Dem Wechselbalg folgen. Sie gefangen nehmen. In Erfahrung bringen, was sie weiß. Sie töten. Die Bezahlung wäre mehr als angemessen dafür. Vielleicht könnte ich sie

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