October Daye: Winterfluch (German Edition)
waren meine Lippen ganz schmal geworden, während ich aus der Gasse fuhr, weg vom Wasser und in jenen Teil der Stadt, den kluge Leute nach Sonnenuntergang tunlichst meiden. Im Allgemeinen versuche ich auch, klug zu sein, wenn es mir möglich ist, und vorsichtig, wenn es nicht möglich ist. Aber im Augenblick funktionierte beides nicht, denn ich war gerade im Begriff, etwas zu tun, das ich mir doch eigentlich geschworen hatte, niemals zu tun. Oberon steh mir bei, ich war tatsächlich unterwegs ins Heim.
Viele Wechselbälger sind im Verlauf der Jahrhunderte aus den Sommerlanden geflüchtet und haben eine ganze Gesellschaft im Grenzgebiet zwischen der Welt der Fae und jener der Sterblichen geschaffen. Die Reinblütler wissen das natürlich, hingegen wissen sie nicht , was sie mit ihren kostbaren Halbblutkindern anstellen sollen, wenn sie sich in zornige Erwachsene verwandeln, und deshalb haben sie auch nie etwas unternommen, um es zu unterbinden. Es ist ein übler, barbarischer Ort, an dem sich die Starken von den Schwachen nähren, und ausgebüxte Wechselbälger scheinen immer dort zu enden.
Ich war fünfundzwanzig, als ich aus dem Haushalt meiner Mutter flüchtete. Äußerlich hätte man mich kaum für sechzehn gehalten. Ich hungerte in Seitengassen, flüchtete vor Kelpies und der menschlichen Polizei und stand dicht davor, aufzugeben und zurückzukehren, als ich etwas fand, das ich für eine Antwort hielt. Devin.
Er nahm mich auf, gab mir zu essen und sagte, ich müsste nie nach Hause zurückkehren, wenn ich nicht wollte. Ich glaubte ihm. Maeve steh mir bei, ich glaubte ihm wirklich. Sogar noch, als mir schon klar wurde, was er ta t – worauf die »kleinen Gefälligkeiten« und die zunehmend größeren Aufgaben hinausliefen, als er nachts in mein Zimmer kam und meinte, ich sei wunderschön und meine Augen glichen jenen meiner Mutte r – , sogar da glaubte ich ihm noch. Er war alles, was ich hatte. Ich wusste, dass ich ihm nicht vertrauen konnte, dass er mich benutzen und mich brechen würde, wenn ich es zuließe. Aber ich wusste auch, dass er mich nicht fortschicken würde, weil sein Ort das Heim war, und dort kehrten alle ein. Im Heim kümmerte es niemanden, welche Augenfarbe man hatte; dass man weinte, wenn die Sonne aufging, oder dass man so wildes Haar wie der Vater besaß, obwohl das einer Daoine Sidhe eigentlich seidig und hell sein sollte. Das Heim war bereit, mich aufzunehmen, und ich war überzeugt davon, mir dort ein Leben schaffen zu können, wenn ich schnell, gerissen und herzlos wäre. Ich konnte mir einen eigenen Weg ebnen.
Hätte mich Devin nur wegen meines Körpers gewollt, er hätte mich benutzen und wegwerfen können, und niemand wäre in der Lage gewesen, ihn davon abzuhalten. Ich habe schon bessere Wechselbälger als mich erlebt, die von der Grenzwelt zerstört wurden. Die Drogen der Sterblichen können ihren Fae-Pendants nicht das Wasser reichen, und Faerie bietet für Unschuldige viele Wege, sich umzubringen. Ich hatte aber Glück; Devin wollte mich wegen des Ansehens, das es ihm einbrächte, mich zu besitzen. Meine Mutter war zwar keine Adlige, aber doch eine gewisse Berühmtheit, die stärkste Blutwirkerin im Königreich, eine Freundin von Herzögen und noch einiges mehr. Niemand hätte je gedacht, dass sie einen Wechselbalg gebären würde. Und Devin war derjenige, der mich ihr wegnahm.
Ich war seine Geliebte, sein Haustier und sein Lieblingsspielzeug, und er gestand mir meine Mucken zu, weil er den Lohn dafür erhielt, wenn er mit mir an der Seite bei einer Feier der Reinblütler aufmarschierte, zu der er eine Einladung erhaschen konnte. Er gab mir, was ich am Rande der Welt der Sterblichen zum Überleben brauchte: eine Geburtsurkunde, Unterricht in Verhaltensweisen der Sterblichen, einen Ort zum Wohnen. Ich bezahlte meine Unterkunft mit der Schande, die ich ihn über die Leute bringen ließ, die mich liebten. Und ich versuchte mir einzureden, dass es dies wert sei.
Vielleicht war ich ihm verfallen; durch die Art, wie er mich ansah, wie er mich berührte und wie er mir das Gefühl vermittelte, mehr als bloß ein weiteres Halbblut zu sein. Er verletzte mich, aber alles, was ich wusste, erklärte mir, dass ich es auch verdiente. Ich sagte nie »nein« zu ihm. Das wollte ich nicht. Alles, was ich ihn tun ließ, alles, was ich tat, geschah aus freien Stücken.
Als Sylvester mich in den Ritterstand erhob, gehörte das Verlassen des Heims mit zum Preis, den ich dafür zu zahlen hatte. Ich
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