Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Odd Thomas 4: Meer der Finsternis

Titel: Odd Thomas 4: Meer der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
Vom Netzwerk:
und qualvoller wurde.
    Verzweiflung erzeugt einerseits viel Energie, andererseits ist sie das Ende aller Hoffnung. Ohne Hoffnung hatte der Geist keinen Schutz mehr gegen seine Furcht, die rasch zu einem reinen Entsetzen anschwoll.
    Im Lauf der Jahre habe ich den Eindruck gewonnen, dass die meisten der hier verweilenden Geister für eine bessere Welt als diese bestimmt sind, sobald sie sich dazu bereitfinden. Gegen ihre Abreise wehren sie sich aus vielfältigen Gründen, die in keinem Fall rational sind.

    Elvis zum Beispiel hatte seine Mutter so sehr geliebt und sie so früh verloren, dass er sich nach seinem Tod im Grunde danach sehnte, sie wiederzusehen, indem er diese Welt verließ. Er hatte jedoch das Gefühl, sein Leben nicht so gelebt zu haben, wie sie es für richtig befunden hätte, und scheute sich davor, zu erfahren, was sie über seinen Drogenkonsum, seinen Frauenverbrauch und sein dekadentes Verhalten dachte. Deshalb war er hiergeblieben, bis ihm endlich klarwurde, dass ihn dort drüben nur grenzenlose Vergebung erwartete.
    Wer im Leben nicht genügend Positives getan hat, um seine Übeltaten wettzumachen, oder wer überhaupt nur Böses getan hat, der bleibt nach seinem Tod nur selten da. Und wenn er dableibt, dann nicht jahrelang, sondern nur einige Tage oder Stunden.
    Wahrscheinlich liegt das daran, dass solche Leute schon im Leben keine Hoffnung gehabt und diese Hoffnungslosigkeit auch nach dem Tod beibehalten haben. Sie reisen ohne jeglichen Protest in die ewige Finsternis, weil ihnen von Anfang an die Fantasie gefehlt hat, sich irgendetwas anderes vorzustellen.
    Vielleicht haben sie nach dem Tod aber auch eine Schuld zu begleichen. Ich konnte mir durchaus einen Schuldeneintreiber vorstellen, der keine Geduld mit säumigen Schuldnern hatte.
    Whittles Verhalten wies darauf hin, dass ihm etwas Schlimmeres bevorstand als ein leichter Weg in eine friedvolle Dunkelheit. Als er angesichts der Leiche in der Badewanne seinen Tod endlich akzeptierte, nahm sein Entsetzen weiter zu.
    Etwa dreißig bis vierzig Sekunden waren vergangen, seit er in der Tür des Badezimmers erschienen war.
    Was nun geschah, das geschah schnell und war eine Darbietung,
die der Zweiten Hexe in Macbeth - sonst trägt sie keinen Namen - würdig war.
    Der Geist Whittles wirbelte durchs Badezimmer wie ein Vogel, der durch ein offenes Fenster hereingeflogen war und nun den Weg, der in die Freiheit führte, nicht wiederfand.
    In Shakespeares Drama steht die Zweite Hexe an einem Kessel und presst Blutstropfen aus sich heraus, die in das Gebräu fallen: Ha, mir juckt der Daumen sehr …
    Während er verzweifelt durch den Raum kreiste, machte Whittle kein Geräusch, das dem Flattern eines Vogels ähnelte. Genau gesagt, er machte überhaupt kein Geräusch, und doch dachte ich, es gäbe Flügel, die ich hätte hören sollen, wenn ich nur dazu fähig gewesen wäre.
    Ha, mir juckt der Daumen sehr, etwas Böses kommt hieher!
    Eine Gestalt trat auf, die schrecklicher als Macbeth war. Das Badezimmerlicht verdüsterte sich, als wäre anderswo in der Stadt eine gewaltige Maschine angesprungen, die dem Stromnetz zu viel Kraft entzog.
    Im Zwielicht schwollen die Schatten an, und ich glaubte die Flügel zu spüren, die ich nicht hören konnte. Es war wie ein rhythmisches Pulsieren von Luft, die von großen Schwingen geschlagen wurde.
    Ich kann nicht mit Gewissheit sagen, was ich sah, weil weder meine fünf Sinne noch das, was man meine außersinnliche Wahrnehmung nennen könnte, es ganz erfassen konnten. Auf jeden Fall hatte ich so etwas noch nie gesehen - und hoffte, es nicht noch einmal zu sehen.
    Vielleicht warf der Geist von Sam Whittle sich gegen den Spiegel über dem Waschbecken, aber das war nicht das, was ich wahrnahm. Es war eher so, dass der Spiegel sich nach außen wölbte, um den Geist von Sam Whittle zu ergreifen.

    Zudem war der Spiegel einen Moment lang mehr als ein Spiegel. Sein Glas faltete sich auf wie ein Gewand und bildete zuckende Membranen voll dunkler Reflexionen des Badezimmers, aber auch eines fantastischeren Ortes.
    Diese wogenden Erscheinungen glänzten wie poliertes Silber und waren doch von einem dunklen Schimmer überzogen. Sie umfingen Whittles Geist und sogen ihn hinein in das Chaos aus Bildern, das über ihre flatternde Oberfläche schwärmte.
    Sobald der Geist vollständig in den Membranen gefangen war, rollten diese sich wieder in den Spiegel ein. Dann beruhigte dessen Oberfläche sich zitternd wieder wie ein Teich, der

Weitere Kostenlose Bücher