Odd Thomas 4: Meer der Finsternis
Wasser bot zwar einen gewissen Widerstand, aber der war nicht groß, da das Boot nicht besonders breit war und einen Verdrängerrumpf mit V-Bug hatte.
Von diesen Aspekten der Bootskonstruktion habe ich allerdings erst nach den beschriebenen Ereignissen erfahren, sonst hätte ich mich damals anders verhalten.
Wie ihr euch vorstellen könnt, bietet Sand einen deutlich größeren Widerstand als Wasser, und Schlamm ist da noch wirksamer als Sand. Ich kann nicht behaupten, ich hätte wahrgenommen, wann der Schlepper sich durch den Sandstreifen gearbeitet hatte und sich in den Schlamm dahinter bohrte.
Erinnern kann ich mich nur daran, dass der Kanal im einen Augenblick noch tief genug war, um das Boot aufzunehmen, und im nächsten war er es schon nicht mehr.
Das von Valonias Kugel durchbohrte Fenster brach völlig aus seinem Rahmen, und jeder ungesicherte Gegenstand an Bord flog durch die Luft, als tobte ein Erdbeben. Glücklicherweise bekam ich nichts an den Schädel, was dafür sprach, dass Utgard und seine Crew sich an die maritimen Sicherheitsvorschriften gehalten hatten.
Meine Füße rutschten weg, doch ich klammerte mich fest ans Steuerrad.
Kreischend, krachend, polternd und zischend erhob sich der Bug des Schleppers aus dem Wasser wie ein prähistorisches
Amphibienwesen, das beschlossen hatte, nun genügend entwickelt zu sein, um an Land zu leben.
Als das Boot endlich zum Stillstand kam, konnte ich mich wieder auf den Beinen halten, aber einen langen Augenblick weigerten sich meine verkrampften Hände, das Steuerrad loszulassen.
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Obwohl ich die Maschinen vor dem Aufprall abgeschaltet hatte, konnte womöglich trotzdem ein Feuer ausbrechen, selbst wenn Diesel nicht so leicht brannte wie Benzin.
Die Frage, ob Thermonuklearwaffen doch durch einen harten Schlag explodieren konnten, war glücklicherweise negativ beantwortet worden. Auch falls ein Feuer ausbrach, würde das den Stahlmantel der Bomben wohl kaum in Mitleidenschaft ziehen, weshalb ich mir keine Sorgen wegen der Freisetzung radioaktiver Strahlung machte.
Als ich es endlich schaffte, mich vom Steuerrad zu lösen, griff ich nach der Ledertasche mit den Bombenzündern.
Vorher war ich so sehr mit dem Problem beschäftigt gewesen, die Bomben an einen Ort zu schaffen, wo sie nicht ohne weiteres abtransportiert werden konnten, dass mir gar nicht aufgefallen war, wie viel die Tasche wog. Als ich den ersten Zünder in die Hand genommen hatte, da hatte ich ihn auf gut zwei Kilogramm geschätzt. Daraus ergab sich ein Gesamtgewicht von höchstens zehn Kilo, aber die Tasche war mindestens anderthalbmal so schwer.
James Bond - vor allem, wenn er von Daniel Craig dargestellt wird - hätte sich die Ledertasche geschnappt, als enthielte sie nichts Schwereres als Politikerversprechen. Unbekümmert lächelnd, wäre er mit den Zündern davongeeilt wie ein Marathonläufer bei der Olympiade.
Freilich hat Bond den Vorteil, durch eine hauptsächlich aus Martinis bestehende Diät gekräftigt zu sein. Ich hingegen trinke nichts Stärkeres als Rotwein, und davon auch nicht viel.
Mühsam schleppte ich die Ledertasche über die Schwelle, nicht ohne dabei allerhand bissige Bemerkungen über die Neigung heutiger Bombenbauer vor mich hin zu murmeln, durch die Konstruktion unnötig großer Zünder wertvolle Ressourcen zu verschwenden. Draußen zog ich die Tür zu und hielt mich einen Augenblick an der Klinke fest, um zu Atem zu kommen und mich zu orientieren.
Das Boot neigte sich nach Backbord, und das Deck fiel schräg nach hinten ab, weil der Bug an den Strand geklettert war. Auf See war der nasse Boden kein großes Problem gewesen, aber angesichts dieses Gefälles wurde mein Gleichgewichtssinn auf eine harte Probe gestellt.
Wie der sprichwörtliche Esel, der sich aufs Eis gewagt hat, schwankte ich zur Reling und blickte hinab. Durch die Nebelschwaden hindurch sah ich dunklen Boden.
Ich hievte die Ledertasche über die Reling und ließ sie fallen. Da die Zünder in gepolsterten Beuteln untergebracht waren, als hätte man sie in einem Nobelkaufhaus erworben, gaben sie beim Aufprall kein lautes Klirren von sich.
Anschließend kletterte ich ebenfalls über die Reling und ließ mich fallen. Als ich neben der Tasche auf festem Boden landete, nahm ich mir vor, dass dies meine letzte Seefahrt gewesen war.
Früher hatte ich solche Vorsätze zwar immer wieder missachtet, aber momentan war mir das egal. In Zukunft wollte ich mich meines Lebens als Landratte erfreuen.
Ich
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