Oder sie stirbt
nicht öffnen, und es baute sich immer mehr Druck auf.« Seine Stimme klang belegt. »Allerdings haben sie nie irgendwelche Reste von diesem Draht im … im …«
»Im Schutt«, schlug ich vor.
»Genau, sie haben keine Drahtreste im Schutt gefunden.« Er brach ab. »Ich wusste, ich hätte so was nicht vergessen. Aber als sie mich dann befragt haben, konnte ich es nicht beschwören. Und irgendwann wurde ich auch unsicher. Ein paar Monate zuvor hatte ich dort unten Überwachungskameras installiert, also habe ich die Schule gebeten, mir die Aufzeichnungen ansehen zu dürfen, damit ich es überprüfen könnte. Ich
musste
es überprüfen.«
»Warum hatten Sie denn Überwachungskameras im Keller?«
»Die Kinder schlichen sich öfters dort runter, zum Rauchen, manche hatten auch Sex. Es sind Kondome gefunden worden und so. Also nahm mich der Rektor Anfang des Schuljahres mal beiseite und bat mich, diese Kameras zu installieren. Ich weiß nicht, wer die Aufnahmen bekommen hat, aber man hat ein paar Schüler rausgezogen und ein Wörtchen mit ihnen geredet, und dann gingen sie da nicht mehr hin. Aber als ich nach dem Unfall nach diesen Aufnahmen fragte, hieß es bloß: ›Wir würden doch niemals Schüler ausspionieren.‹ Ich bin mit den Ermittlern sogar runtergegangen, aber da waren alle Kameras abmontiert. Diese Aufnahme … diese Aufnahme …«, er deutete mit dem Finger aufgeregt auf den Bildschirm, »… hat sozusagen nie existiert.« Sein Gesicht verzog sich, und er senkte den Kopf, ohne einen Laut von sich zu geben. »Ein befreundeter Polizist hat mir später verraten, dass es juristisch keine Kleinigkeit ist, wenn man solche illegalen Überwachungskameras einsetzt. Wenn sie Schüler beim Sex gefilmt hätten, hätte man sie sogar wegen Kinderpornografie drankriegen können. Deswegen haben sie mich in die Pfanne gehauen. Und was sie mir nicht genommen haben, hab ich mir dann eben selbst versaut.«
Ich bemühte mich, nicht auf die Narben an seinen Handgelenken zu schauen. Stattdessen starrte ich auf meine eigenen Hände, die ebenfalls mit Krusten und Narben übersät waren. So hatte die Reue ihre Spuren an uns hinterlassen. Ich hatte auf mein Armaturenbrett eingedroschen, weil ich Pech gehabt hatte und von meiner Frau betrogen worden war. Verglichen mit dem toten Kind und dem Mädchen ohne Gesicht, die diesem Mann auf dem Gewissen lagen, bis er zur Rasierklinge griff, schienen mir meine Sorgen plötzlich völlig unbedeutend.
»Ich war so gut wie tot. Ich lief rum wie im Nebel, zog von einer Stadt zur nächsten. Ich halt’s nie lange an einer Stelle aus. Ich kann den Leuten nicht mehr in die Augen gucken. Aber jetzt sehen Sie sich das an. Sehen Sie sich das
an!
« Mit glänzenden Augen musterte er den Bildschirm, das eingeblendete Datum, den Boiler. »An dem Boiler sitzt kein Draht mehr. Nirgendwo auf dem Bild ist ein Draht zu sehen. Das ist wirklich das Schönste, was ich in meinem ganzen Leben gesehen habe.« Er schüttelte den Kopf, holte zitternd Luft und blickte dann wieder zu mir. »Hören Sie, vielleicht finden wir ja den Grund, warum ausgerechnet wir zwei ausgewählt wurden.«
»Ja, vielleicht können wir die Fäden bis zu der Person zurückverfolgen, die alle in der Hand hält.«
»Ich bin ein bisschen … Im Moment geht’s mir nicht so gut. Ich hab in letzter Zeit ’ne Menge mitgemacht. Aber kommen Sie noch mal zu mir, damit wir gemeinsam nachdenken können? Vielleicht in ein paar Tagen?«
»Ja. Natürlich.«
»Vergessen Sie es nicht. Ich würde es wirklich gerne wissen. Ich würde mich gern bei diesen Leuten bedanken.«
Immer noch etwas benommen, schlurften wir zur Tür. »Aber sie haben …« Ich leckte mir nervös über die trockenen Lippen. »Sie haben Ihnen aber nichts für mich gegeben.« Ich brachte es nicht fertig, diesen Satz als Frage zu formulieren.
»Nein«, sagte er. »Tut mir leid.« Sein Blick wanderte über mein Gesicht, und er sah meine Enttäuschung. Ich spürte sein Mitleid – er hätte mir so gern auch einen Gefallen getan. Schließlich streckte er mir einfach die Hand hin. »Wir haben uns noch gar nicht … also, ich bin Doug Beeman.«
»Patrick Davis.«
Wir schüttelten uns die Hand, und er ergriff dabei meinen Unterarm. »Sie haben mein Leben verändert. Ich fühle mich zum ersten Mal, als ob …« Er nickte leicht. »Sie haben mein Leben verändert. Ich bin Ihnen so dankbar, dass Sie das für mich getan haben.«
Ich dachte an die Worte der Stimme:
Hinter dieser
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