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Odessa Star: Roman (German Edition)

Odessa Star: Roman (German Edition)

Titel: Odessa Star: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch
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schwerfällig und ziellos, so als würde ein großes, fast blindes Tier in der Dunkelheit seines Käfigs überall anstoßen; dann folgte ein Geräusch, das ich nicht recht einordnen konnte, das aber wahrscheinlich von einer umfallenden Gehhilfe herrührte. Auch der Hund fing jetzt zu bellen an.
    Mittlerweile hatte ich fast alles Wasser ins Badezimmer zurückgewischt. Dort schob ich es zu den Fußleisten und den Fugen der Badewanne, an die Stellen, an denen, wie ich meinte, das meiste Wasser nach unten sickern würde. Während ich so beschäftigt war, sah ich mich plötzlich im Doppelspiegel über den Waschbecken. Zufrieden wäre ein zu schwacher Begriff gewesen, um meinen Gesichtsausdruck zu beschreiben. Selig käme der Sache schon näher.
    »Herr Moorman!«
    Die Stimme kam aus dem Garten. Ich brachte mein Gesicht näher an einen der Spiegel; meine Wangen waren leicht gerötet. Ich entblößte die Zähne zu einem warmherzigen Lächeln. Dann kniff ich die Augen zusammen, schnipste mit den Fingern und sah den Ernst in meine Gesichtszüge zurückkehren.
    »Herr Moorman!« Die Panik in Frau de Bildes Stimme warnicht zu überhören. Etwas Schlimmes musste passiert sein. Ein Rohrbruch vielleicht oder noch Schlimmeres.
    »Wie um Himmels willen konnte das passieren«, sagte ich zu meinem Spiegelbild; ich fühlte, wie ein Kichern in mir aufstieg, unterdrückte es aber noch rechtzeitig. Mit beiden Händen brachte ich mein Haar in Unordnung und ging auf den Balkon hinaus.
    Unten stand Frau de Bilde in einem dunkelbraunen Kimono aus demselben filzartigen Stoff, aus dem Pantoffeln gemacht werden. Ich stützte die Hände auf die Brüstung und starrte sie an.
    »Was machen Sie bloß?«, schrie sie. »Es kommt ja wie aus Kübeln herunter!«
    Ganz ohne Absicht, als würde ich einer Eingebung folgen, schaute ich sie wortlos an.
    »Der Putz fällt von der Decke!«, schrie sie. »Kommen Sie sofort herunter! Überzeugen Sie sich selbst …«
    Ich schwieg. Frau de Bilde begriff allmählich, dass meine Reaktion einer Katastrophe dieses Ausmaßes nicht ganz angemessen war. Sie blinzelte mit den Augen, ihr Gesichtsausdruck schwankte zwischen Fassungslosigkeit und Verzweiflung. Unsere Kommunikation verlief nicht ganz synchron, so, wie man es von interkontinentalen Telefongesprächen über Satelliten kennt, wenn nach jedem Satz eine Pause von ein paar Sekunden eintritt, bis man wieder etwas sagen kann.
    »Was stehen Sie da herum?«, rief sie. »Kommen Sie sofort …«
    »Es ist entsetzlich«, unterbrach ich sie.
    Dieser Satz, der eigentlich viel früher hätte fallen müssen, gleichwohl aber die Kalamität nicht leugnete, verwirrte sie vollends.
    »Das kann man schon sagen«, sagte sie. »Es ist … es ist …«
    »Ich muss eingeschlafen sein. Das muss es gewesen sein.Das Bad …« Ich tat so, als suchte ich nach Worten: »Es war wie die Sintflut. Auf einmal war überall Wasser. Wie konnte das um Gottes willen passieren, habe ich gedacht. Im Bad habe ich dann die Ursache entdeckt. Aber da war es schon zu spät.«
    Frau de Bilde starrte mich an. Irgendetwas stimmte nicht. Was ich gesagt hatte, wirkte künstlich, ausgedacht, wie der Text eines schlechten Hörspiels. Verstärkt wurde dieser Eindruck noch dadurch, dass ich nach jedem Satz eine lange Pause einlegte.
    Frau de Bildes Lippen bewegten sich, aber aus ihrem Mund kam kein Ton. Dann schüttelte sie nur noch den Kopf. In dem Moment kam der gefleckte Hund heraus und tappte durch das hohe Gras zu den Sträuchern hinten im Garten. Wenn dies ein Hörspiel war, dann war sein Auftritt perfekt getimt. Ich schloss die Augen und achtete nur noch auf die Geräusche: Frau de Bildes mühsames Atmen, das Rascheln des Laubs und weiter weg das Rauschen der Stadt, ein Zug, der über eine Eisenbahnbrücke fuhr.
    Als ich die Augen wieder öffnete, hockte der Hund im Gestrüpp. Er sah diesmal nicht zu mir hinauf, sondern starrte vor sich hin, als wollte er von niemandem gesehen werden; er hechelte, aus seinem offenen Maul tropfte der Geifer. Durch die Anstrengung wurde der rosa Hundepimmel aus seiner behaarten Hülle gepresst. Dieses Rosa war in dem Moment – es muss gegen Ende Februar gewesen sein – die hellste Farbe im Garten.
    Ich versuchte, auf den Namen des Viechs zu kommen. Wau? Nein, so hieß er nicht, aber so ähnlich. Ich sah auf Frau de Bilde herunter, auf das trockene Altweiberhaar auf ihrem Schädel. Wie lange standen wir hier schon, ohne ein Wort zu sagen? Sie da unten im Garten, ich hier oben

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