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Odessa Star: Roman (German Edition)

Odessa Star: Roman (German Edition)

Titel: Odessa Star: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch
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verloren, weil die Luft nicht entweichen wollte, und wäre wie verrückt auf ihr herumgetrampelt. Ihre Haut glänzte noch genauso ungesund wie vorher, und auch die Flecken waren noch da.
    »Herr Moorman …«, sagte sie leise. Sie blickte schon jetzt, in den ersten Sekunden, zu Boden.
    »Titia …« Mehr brachte ich nicht heraus. Ihre Untertänigkeit nahm mir den Wind aus den Segeln. Wenn sie wütend auf mich losgefahren wäre, mich sogar direkt für das Verschwinden ihrer Mutter verantwortlich gemacht hätte, hätte ich ihr leicht Paroli bieten können, aber jetzt wäre es, als würde ich mit einem Baseballschläger eine Torte in vier gleiche Teile teilen wollen. Weil ich ihr feuchtes, rot umrändertes Gesicht mehr oder weniger für ihr Alltagsgesicht hielt, dauerte es eine Weile, bis ich kapierte, dass sie weinte.
    »… Ich … Ich …«, stammelte sie und schaute auf. Ich zwang mich, ihr in die Augen zu sehen; auch die waren feucht und rot geädert, der weiße Teil war durchweg cremefarben. Ich musste an zwei Austern denken, deren Haltbarkeitsdatum längst überschritten war und auf die der Koch noch gespuckt hatte, bevor er sie dem Kellner überreichte.
    »Ich mache mir solche Sorgen, Herr Moorman«, brachte sie jetzt heraus. »Ich habe Angst, dass etwas Schreckliches passiert ist …«
    Ich streckte die Hand aus, zog sie aber noch rechtzeitig zurück. Wir standen in der Tür: ich barfuß auf der Schwelle, Titia de Bilde auf dem Bürgersteig. Unauffällig lehnte ich mich nach vorn und blickte die Straße rauf und runter. Sie war leer und verlassen.
    »Hör zu …«, sagte ich. Mein Blick fiel auf die orange Plastiktüte in ihrer Hand; sie war von Albert Heijn, drinnenblinkte etwas Metallisches. Ein Topf, ein Topf mit Suppe! Ich sah wieder in das greinende Gesicht und musste auf einmal an Rotz denken, an den Rotz von jemandem, der sich ohne Taschentuch die Nase auf der Straße schneuzt. Doch da stimmte etwas nicht. Was machte Titia hier mit einem Topf Suppe, wenn sie wusste, dass ihre Mutter nicht zu Hause war? Eine Suppe, die nie mehr ausgelöffelt werden wird, dachte ich. Ich riss mich zusammen.
    »Ich glaube es auch, Titia, ich glaube auch, dass etwas Schreckliches passiert ist. Das sieht deiner Mutter gar nicht ähnlich.«
    Sie starrte mich an; ich merkte, dass ich die richtige Saite angeschlagen hatte, ich redete nicht um den heißen Brei herum, ich bereitete uns beide auf das Schlimmste vor. Nah an der Wahrheit bleiben. Es war ein fast unerträglicher Gedanke, dass dieses abstoßende Geschöpf mir, nach allem, was vorgefallen war, vertraute: Sie hatte etwas von einer Tramperin, die mitten in der Nacht in ein Auto mit getönten Scheiben steigt – die Augen des Fahrers sind hinter einer dunklen Brille verborgen – und die man später, auf sieben Müllsäcke verteilt, auf einer Deponie wiederfindet.
    »Was mir noch eingefallen ist …, Titia«, sagte ich, fest davon überzeugt, dass nur Weiterreden das Vertrauensverhältnis aufrechterhalten konnte. »Wir wissen nicht, wo deine Mutter ist. Wir wissen nicht einmal, ob sie jemals noch nach Hause kommt. Wir sollten uns das klarmachen …«
    Sie nickte zustimmend, sie hatte jetzt sogar ganz zu weinen aufgehört.
    »Deshalb dachte ich, wir sollten aus der Not eine Tugend machen«, sagte ich fast munter. »Wie wir beide wissen, sind die Instandhaltungsarbeiten überfällig. Es ist vielleicht keine schlechte Idee, das Ganze mal gründlich aufzumöbeln, angefangen mit dem Badezimmer …« Jetzt war ich an der Reihe, auf meine Füße zu gucken. »Ich bin mir vollkommenbewusst, dass ich in der Vergangenheit diesbezüglich vollkommen versagt habe. Aber es ist vielleicht nicht zu spät, um Versäumtes nachzuholen. Das fängt damit an, dass wir uns vorläufig um Wuff kümmern, und mein Sohn und seine Freundin geben dem Sittich und den Hamstern zu Fressen.«
    Dass mir der Name des Hundes fehlerfrei über die Lippen gekommen war, brachte mir mindestens fünf Punkte ein, und als Titia de Bilde zustimmend nickte, wusste ich, ich brauchte nur noch abzusahnen. Die Welt geht nicht an Mord und Totschlag zugrunde, sondern an Gutgläubigkeit, dachte ich und warf einen fragenden Blick auf die orange Plastiktüte.
    »Ich …« Titia drohte wieder in Tränen auszubrechen, aber sie riss sich zusammen. »Ich bringe den Topf zurück … meine Mutter … ich habe oft Suppe für sie gemacht, aber in ihrem eigenen Topf. Das schmeckte ihr besser …«
    Ich grinste sie an, als hätten wir mit

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