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Odessa Star: Roman (German Edition)

Odessa Star: Roman (German Edition)

Titel: Odessa Star: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch
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verärgert auf meine Uhr zu schauen. Aber verärgert war ich schon gewesen: Eine ganze Woche war seit der Inspektion des Schuppens verstrichen, und eigentlich hatte sich seit unserer Rückkehr aus Menorca noch nichts geklärt.
    »Hattest du mit dem Parterre nicht irgendwas vor?« Sein Gesicht war stark gebräunt; er hatte seine Sonnenbrille in die Stirn geschoben, und sein glatt zurückgekämmtes Haar war nass, als käme er gerade aus der Dusche.
    »Deswegen frage ich ja«, sagte ich. »Ich weiß nicht, ob und wann ich damit anfangen kann.«

    Max drehte das Bierglas hin und her. »Das meine ich doch«, sagte er. »Vielleicht könntest du mich das fragen.«
    »Was?«
    Das Bierglas zwischen seinen Fingern kam zum Stillstand. »Ob du schon anfangen kannst.«
    Endlich setzte Max das Glas an die Lippen und leerte es in einem Zug. Er wischte sich den Mund ab, gab einen zufriedenen Rülpser von sich und schaute zwei jungen Mädchen in zu knappen TShirts nach, die Arm in Arm vor dem Fenster vorbeigingen.
    »So!«, sagte er und zwinkerte mir zu. »Ja, Fred, der Herbst steht schon wieder fast vor der Tür, aber für den, der Augen hat zu sehen, ist es immer Frühling.«
    Ich schaute auf mein leeres Glas. Ich hatte Lust auf ein zweites, doch die Kellnerin stand gerade mit dem Rücken zu uns an der Bar. »Kann ich anfangen?«, fragte ich.
    »Ja«, sagte Max.
    Eine alte Dame in einem Leopardenmantel, an dem vor dem Krieg vielleicht noch Leopardenhaare gewesen waren, der aber jetzt eher wie eine auf Pergament gedruckte Fotokopie eines Leopardenmantels aussah, stand phasenweise von ihrem Tisch auf und schlurfte zum Ausgang. Noch bevor sie ihn erreicht hatte, sprang Max auf und hielt ihr die Tür auf.
    »Vielen Dank, junger Mann«, sagte sie; draußen stand sie noch eine Zeit lang unschlüssig da, als wüsste sie nicht mehr, warum sie das Lokal verlassen hatte, und ging schließlich langsam Richtung Apollolaan.
    Inzwischen war es Max gelungen, die Kellnerin auf uns aufmerksam zu machen. »Du noch ein Bier?«, fragte er.
    Ich nickte; ich hätte gern Fragen gestellt, doch es schien mir vernünftiger, es bleiben zu lassen, jedenfalls in diesem Moment.
    Max schüttelte den Kopf und lachte.
     
    »Was?«, fragte ich.
    »Ach nee, ich dachte gerade nur daran, die Alte gerade eben … ich meine, im einen Moment hat man ein hübsches junges Ding vor sich und im nächsten eine wandelnde Leiche.«
    »Ja«, sagte ich und setzte ein Pokerface auf, hielt dabei aber die Luft an.
    »Nee, verstehst du … ich meine, denkst du solche Sachen nie? Die Alte vorhin, die denkt vielleicht immer noch daran. An genau das Gleiche, an das die jungen Mädchen denken, was meinst du?«
    Unser Bier wurde gebracht, wir nahmen beide einen Schluck.
    »Ich jedenfalls«, sagte Max langsam, »ich denke eigentlich immer daran.«
    Ich schwieg und wartete. Vielleicht würde sich das Gespräch ganz von selbst auf die Parterrewohnung und den Garten zubewegen?
    »Und umgekehrt auch. Umgekehrt denke ich bei ganz kleinen Kindern schon daran, wie sie mal als Tattergreise aussehen werden. Oder bei so knackigen Mädchen wie vorhin, dass sie in nicht allzu ferner Zukunft so schwer und kurzatmig sind, dass Umstehende sie in die Straßenbahn hieven müssen …«
    Ich lachte. »Ja, ich denke auch manchmal …«
    »Für manche ist das ganz tröstlich«, sagte Max. »So was denken zu können, meine ich. Versagertypen zum Beispiel, die denken dann: So ein hübsches Ding, das völlig außerhalb meines Sonnensystems liegt, ist auch bald eine alte Oma. Und dabei vergessen sie der Einfachheit halber, dass sie dann selber längst tot und begraben sind. Aber so meine ich es nicht. Ich meine mehr, hinter so einer Alten wie der vorhin im Leopardenmantel sind vielleicht in ihrer Glanzzeit auch mal ganze Horden junger Männer her gewesen.Männer, die sich heute nur noch mit Mühe dahinschleppen oder die schon seit zwanzig Jahren auf dem Friedhof liegen.«
    Wieder schwieg ich dazu; ich war froh, dass ich vorhin meinen Satz nicht zu Ende gesprochen hatte. Max angelte sich eine Schachtel Marlboro aus seiner Brusttasche und zündete sich eine an. Ohne mir eine anzubieten, steckte er die Schachtel wieder ein.
    »Sogar bei meiner eigenen Tochter denke ich manchmal daran«, sagte er. »Ich glaube, es gibt Dinge, die möchte man als Eltern einfach nicht erleben, und deshalb ist es auch biologisch so vorgesehen, dass es auch nicht nötig ist. Ich meine, ich finde es schön, Sharon aufwachsen zu sehen,

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