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Odessa Star: Roman (German Edition)

Odessa Star: Roman (German Edition)

Titel: Odessa Star: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch
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Prügelverabreicht hätte, die er sich in diesem Leben mehr verdient hatte als in all seinen früheren Daseinsformen zusammengenommen.
    »So kann ich nicht arbeiten«, sagte er, als er zum ersten Mal in Frau de Bildes Küche stand, die Hände in den Hosentaschen, und melancholisch die Tüte Hundefutter auf der Anrichte anstarrte. Vielleicht machte er den darauf abgebildeten Hund persönlich dafür verantwortlich, dass er nicht mit der Arbeit anfangen konnte. Es war ein braunschwarzes Exemplar, das aufgeregt ein Ohr in die Höhe reckte, als würde es schon von Weitem die appetitlichen Brocken in seinen Fressnapf fallen hören. Unwillkürlich musste ich an den Fotografen denken, der den Hund dazu gebracht hatte, nur das eine Ohr zu spitzen, und dann dachte ich an Peter Bruggink; ich musste ihn unbedingt zurückrufen, heute noch, auf jeden Fall morgen.
    »Der ganze Krempel muss raus«, murmelte mein Schwager düster und zeigte mit dem Kopf nach hinten zum Flur und zum Wohnzimmer. Es roch in der Wohnung inzwischen so unverkennbar nach Kamel, dass man eigentlich nicht länger von Gestank sprechen konnte: Ohne die menschliche Anwesenheit der sich mit ihrer Gehhilfe herumschleppenden Frau de Bilde handelte es sich nur noch um den beruhigenden Geruch eines Tierasyls. Unser Plan oder eigentlich Christines Plan war es gewesen, die ganze Wohnung erst gründlich putzen zu lassen, aber am ersten Montag nach den Sommerferien war unsere Putzfrau nicht erschienen und auch nicht am Montag darauf.
    »Vielleicht ist sie noch im Urlaub«, meinte meine Frau. »Der dauert ja vielleicht in Marokko etwas länger.«
    Und als ich mit den Achseln zuckte, sagte sie: »Ich finde es doch merkwürdig. Fatima war ein so anständiges Mädchen.«
    »Hast du keine Telefonnummer?«

    »Nur die von ihrem Handy und da kriege ich immer ihre Mailbox. Ich habe was draufgesprochen, aber sie ruft nicht zurück.«
    »Vielleicht ist sie zwangsverheiratet worden«, sagte ich, aber meine Frau schien das für keine besonders witzige Bemerkung zu halten. Wann hatte ich sie überhaupt das letzte Mal zum Lachen gebracht? Mir fiel nichts ein. Na ja, vielleicht vor etwa einem Jahr, als ich die Müllsäcke nach unten bringen wollte, ausrutschte, die Treppe runterfiel und zwischen den Kartoffelschalen und stinkenden Fleischresten landete; sie hatte sich gar nicht erst erkundigt, ob ich mir wehgetan hatte, sondern gleich einen unbändigen Lachanfall bekommen, schließlich hatte sie aus der Küche ein Geschirrtuch geholt, um sich die Tränen abzuwischen.
    »Oh, Schatz … sei mir nicht böse«, hatte sie erst nach geraumer Zeit herausgebracht. »Aber wenn du dich sehen könntest!«
    Fatima … ich war selten zu Hause, wenn sie sich mit Staubsauger und Putztuch an die Arbeit machte. Die Tätigkeit einer Hilfe im Haus unterliegt einer ganz eigentümlichen Gesetzmäßigkeit: Sie hält sich immer dort auf, wo man selber gerade sein möchte. Wenn man aufs Klo muss, scheuert sie garantiert die Schüssel, wenn man sich in der Küche ein Glas Wasser holen will, hat sie die Bodenfliesen gerade mit einem Spezialwachs behandelt, das quälend langsam trocknet; sich nicht von der Stelle zu rühren, ist auch keine Lösung, denn unaufhaltsam nähert sich der Staubsaugerlärm, und irgendwann muss man die Beine heben (»Darf ich mal stören?«) oder den Stuhl nach hinten schieben – nein, es bleibt einem nichts anderes übrig, als die Flucht zu ergreifen. Doch andererseits muss immer jemand zu Hause sein, sonst trödelt sie herum, macht immer längere Kaffeepausen und pafft eine Zigarette nach der anderen.
    Ich dachte an den Morgen, als Fatima mich in Unterhosein der Küche angetroffen hatte; ich war wieder ins Bett gekrochen und hatte auf die Geräusche unten gelauscht: ein startender Staubsauger, Wasser, das eimerweise ins Klo geleert wurde … nach einiger Zeit hatten sich die Geräusche zögernd genähert, zuerst das Brummen des Staubsaugers, dann das Hin-und Herschieben von Fläschchen im Badezimmer.
    »Herr Moorman …?«
    Es war ein Flüstern gewesen, aber eindeutig im Zimmer und nicht außerhalb, wie mir nach ein paar Sekunden klar war.
    »Schlafen Sie, Herr Moorman?«
    Was, wenn ich wach war und sie mit dem Staubsauger reinkommen wollte? Ich öffnete die Augen und sah ihren Kopf im Türrahmen, ihr schwarzes Haar reichte bis zur Türklinke.
    »Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen eine Tasse Tee machen.« Sie blieb stehen, wo sie stand, nur schob sich jetzt auch eine mit Ringen

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