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Odessa Star: Roman (German Edition)

Odessa Star: Roman (German Edition)

Titel: Odessa Star: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch
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aber ich bin auch froh, dass ich nicht mehr am Leben sein werde, wenn es mit ihr abwärtsgeht.«
    Max schob den Ärmel seines Sweatshirts hoch und schaute auf seine Taucheruhr, dann winkte er der Kellnerin.
    »Du fängt erst mal mit dem Umbau an«, sagte er. »Unter dem Vorwand einer Instandsetzung. Und machst es so, wie du es gerne hättest, wenn du selber dort einziehen würdest. Dass du zum Beispiel nicht nachher zwei Küchen hast, die du gar nicht brauchst, du verstehst schon. Bei der Art Wohnungen in deinem Viertel kann man schon mit ein paar kleinen Eingriffen auf eine Miete kommen, deren Höhe man völlig frei bestimmen kann. Du verlangst also einen Betrag, von dem du weißt, dass keiner ihn zahlen kann, alles klar? Und solange du keinen geeigneten Mieter findest, wohnst du selber drin. Das ist völlig legal und für jedermann einleuchtend. Nach ein paar Jahren haben alle vergessen, wie es dazu gekommen ist, und deine Frau hat ihren Garten, in dem sie so viel anpflanzen kann, wie sie will. Das mögen Frauen nun mal, kann ich dir versichern. Du müsstest mal unseren Balkon sehen, der tropische Regenwald ist nichts dagegen.«

    Die Kellnerin kam an unseren Tisch. Max fächelte den Zigarettenrauch weg, als könnte er sie sonst nicht richtig sehen. »Können wir zahlen, Schönheit?«

9
    Es war meine Frau, die vorschlug, ihr Bruder solle die »Modernisierung« der Parterrewohnung übernehmen. Nach anfänglichen Protesten ließ ich mich schließlich von ihren Argumenten überzeugen: Mein Schwager war zwar ein Versager, was den Beitrag zum Unterhalt seiner Familie betraf, aber auf der anderen Seite hatte er unbestreitbar handwerkliches Talent. Wenn er nicht auf dem Sofa lag und meditierte, zimmerte er eigenhändig einen, übrigens völlig überflüssigen, Anbau für die Küche oder kachelte das Bad mit echten portugiesischen Keramikfliesen, um dem Ganzen »einen mediterranen Anstrich« zu geben, wie er sich ausdrückte. Mit den portugiesischen Fliesen verhielt es sich allerdings wie mit Yvonnes im Ofen verkohlenden ausländischen Rezepten: In ihrer dunklen Wohnung im Obergeschoss in der genauso dunklen Straße in Amsterdam West konnte man einfach nicht vergessen, in was für einer durch und durch ordinären Umgebung man sich befand – »mediterran« würde es da nimmermehr werden, mochte mein Schwager auch alle Wände und Decken mit römischen Fresken und pompejischen Mosaiken bekleistern.
    Ich sah seiner bohrenden und klopfenden Anwesenheit mit Schrecken entgegen, aber noch mehr seiner Anwesenheit danach, nach getaner Arbeit, an unserem Küchentisch,wo er sich seine Zigaretten drehen und sein Bier trinken und uns mit seinen Spinnereien langweilen würde über die »innere Harmonie zwischen Körper, Geist und Seele« und, was das Schlimmste war, über die »Seelenwanderung«. Seit einigen Jahren glaubte mein Schwager nämlich, er habe schon mehrere Inkarnationen hinter sich. In seinem ersten Leben hatte er sich in der Provence als Vincent van Gogh abgeplagt, dann war er ein französischer General bei Verdun gewesen, um schließlich in seiner vorletzten Daseinsform als Häftling in einem deutschen Konzentrationslager zu enden; auf dieses Schicksal als Opfer einer grausamen Verfolgung führte er seinen gegenwärtigen depressiven und »dunklen« Gemütszustand zurück.
    Ich war schon öfter Leuten begegnet, die an die Reinkarnation glaubten, und allen war gemeinsam, dass sich ihre früheren Daseinsformen nie in der Anonymität abspielten. Vincent van Gogh mochte zwar zu Lebzeiten nicht sehr populär gewesen sein, aber später hat man ihm doch ein ganzes Museum gewidmet; das Gleiche galt für all die Alexander die Großen und Napoleons. Und auch KZ -Häftlinge waren »historisch« berühmt, um es einmal so zu formulieren. Bezeichnenderweise fehlte in der Reihe der Inkarnationen der KZ -Scherge, der einen Häftling mit einem Stück Holz zu Tode knüppelte.
    Ich kann mich noch gut an den Sonntagnachmittag erinnern, an dem mein Schwager zum ersten Mal davon anfing – wir saßen in einem schrecklichen Pfannkuchenhaus –, und wie schamlos und peinlich ich es fand, als er vor seinen Kindern von seiner schweren Zeit im KZ erzählte, was dazu beigetragen habe, dass Papa manchmal so niedergeschlagen und trübsinnig sei. Ich betrachtete sein nichtssagendes, verwöhntes Gesicht, während er in aller Seelenruhe weiter seinen Speckpfannkuchen mampfte, und dachte, wie liebend gern ich ihm in einer früheren Inkarnation die Tracht

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