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Odice

Odice

Titel: Odice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anais Goutier
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aufzwingen, wie es mir beliebt und durch den Vertag zusteht. Und ich kann sehr rücksichtslos und grausam sein. Vergiss das nicht, Odice.«
    Seine Stimme hatte so eisig geklungen und seine Worte trafen sie bis ins Mark. Odice fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen, betäubt, unfähig zu reagieren.
    »Sie haben mich eine ganze Nacht lang besessen, mon seigneur «, sagte sie schließlich ebenso empfindungslos. »Ich kann Ihre Nähe nicht länger ertragen. Ihre Grausamkeit, Ihre Arroganz, Ihre Kälte. Wenn Sie Ihre Triebe nun hinlänglich an mir befriedigt haben, würde ich mich gern zurückziehen, wenn Sie gestatten.«
    Julien schien etwas entgegnen zu wollen, doch er überlegte es sich offenbar anders. Aus seinen schönen Augen war aller Glanz gewichen. Sie wirkten matt und leblos und dahinter verbargen sich Schmerz und namenlose Seelenqualen. Er wirkte in diesem Augenblick so unglaublich verletzlich.
    Odice wandte den Blick ab und raffte eine der seidenen Decken um ihren Leib. Sie verließ sein Schlafgemach so nackt wie sie gekommen war.

    »Es tut mir leid«, flüsterte er, doch er sagte es so leise, dass sie es nicht hören konnte. Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, stand Julien auf. Er ging in seinem weitläufigen Zimmer auf und ab wie ein eingepferchter Tiger. Er hätte die Frau, für die er so viel empfand, nicht derart verletzen dürfen. Aber wie hätte die Alternative ausgesehen? Hätte er ihr die Wahrheit gesagt, ihr gestanden, dass er ebenso für sie empfand wie sie für ihn, dann hätte das gegen alle Regeln verstoßen, gegen seine ureigenen Grundsätze und gegen jegliche Vernunft. Sie war eine Klientin und sie hatte einen Anspruch auf seine Professionalität. Es gab keine andere Möglichkeit, als die Gefühle für sie weiterhin zu leugnen, zu verdrängen und bestenfalls zu tilgen. Odice war hierher gekommen, um mit Eric und ihm ihre sexuellen Fantasien auszuleben, sich auszuprobieren, Grenzen auszuloten – absolut diskret und ohne jede Verpflichtung. Anschließend würde sie unbehelligt aus seinem Leben verschwinden und ihre Wege würden sich nach Möglichkeit nie wieder kreuzen. So war es ihr zugesichert worden und darauf hatte sie ein Anrecht. Er jedenfalls hatte keinerlei Recht dazu, sich in sie zu verlieben. Vielleicht hatte sie ihre Worte ja auch selbst gar nicht richtig überdacht und sie waren ihr einfach so herausgerutscht. Im Höhenflug der intensiven Empfindungen einer solchen Nacht war das schließlich nicht ungewöhnlich und durchaus nachvollziehbar. Er sollte die Sache auf sich beruhen lassen und ihr nicht zu viel Bedeutung beimessen. Doch das änderte nichts an der jetzigen Situation. Er war grausam zu ihr gewesen und dafür hasste er sich. Er fühlte sich hundeelend und so ungemein schuldig. Warum hatte sie herkommen müssen? Fast empfand er Wut auf sie. Er hatte von ihrer ersten Begegnung an gewusst, dass sie hier nichts verloren hatte und als sie dann plötzlich dagestanden hatte mit ihrem wundervollen Flammenhaar und ihrem spritzigen Sportwagen, war ihm klar gewesen, dass das nicht gut ausgehen konnte. Abgesehen von der abstrakten Vorstellung, die ihr die Fragebögen vermittelt hatten, hatte sie bei ihrer Ankunft keine Ahnung von den Spielarten von Dominanz und Unterwerfung gehabt. Es war ihm noch immer ein Rätsel, was ausgerechnet Odice an diesen unheilvollen Ort getrieben hatte und er verfluchte sich selbst dafür, ihr den Zutritt zu diesem Haus nicht verwehrt zu haben.

    Als Odice ihr Zimmer betrat, fiel das fahle Zwielicht des sich ankündigenden Morgens durch das hohe Fenster und warf lange Schatten auf den Parkettboden. Sie schaltete das elektrische Licht nicht ein, sondern trat ans Fenster und betrachtete die hohen Baumwipfel, über denen eindrucksvolle Nebelschleier waberten. Das mystisch blasse Licht, das zwischen Nacht und Tag lag, sickerte durch die aufwallenden Dunstschwaden.
    Sie nahm erst wahr, dass sie weinte, als ihr die Tränen aufs Dekolleté fielen und sie spürte die Kälte an ihren nackten Füßen und Beinen erst, als ihr Körper mächtig zu zittern begann.
    Sie hätte sich selbst verfluchen können und ihn mit dazu. Wie hatte ihr das über die Lippen kommen können? Was war nur in sie gefahren? Hatte man sie in diesem Haus nicht schon genug gedemütigt? Musste sie sich unbedingt auch noch selbst erniedrigen vor diesem eiskalten Dandy mit seinem übergroßen Ego und der gestörten Sexualität? Sie hatte diese drei kleinen verhängnisvollen Worte

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