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Odins Insel

Odins Insel

Titel: Odins Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Teller
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Ankunft auf dem Kontinent, wo er den Veterinär für Rigmarole ausfindig machen wollte.
    Anfangs gaben die turmhohen Klippen ihm Schutz, doch sobald Odin das offene Meer erreicht hatte, traf ihn ein steifer Nordwestwind direkt ins Gesicht. Er wickelte sich den Schal von Mutter Maries verstorbenem Mann fester um den Hals und
stemmte sich gegen den Wind. Aber er kam nun beträchtlich langsamer vorwärts, und mehrere Male musste er sich auf das Eis setzen, um von den Windstößen nicht zurückgestoßen zu werden. Die Luft war so kalt, dass Odins Atem zu Eis gefror, noch bevor er seinen Mund verlassen hatte, und es dauerte nicht lange, bis seine Lippen steif und blau waren wie die drohenden Klippen hinter ihm. Haar und Bart, die bereits in Posthusby mit Reif bedeckt gewesen waren, waren nach wenigen Minuten auf dem offenen Meer zu reinen Eiszapfen geworden. Hin und wieder jammerte und klagte das Eis unter seinen Füßen, und jedes Mal blieb Odin abrupt stehen und hielt den Atem an; es war wahrlich keine angenehme Wanderung, doch umzukehren, bevor er den Veterinär geholt hatte, davon konnte keine Rede sein.
    »Wer wagt, mag untergehen. Aber wer nicht wagt, ist bereits untergegangen«, murmelte Odin und klopfte auf das Hufeisen in seiner Brusttasche.
    Schon kurz nachdem Odin die Klippenformation passiert hatte, hatte er einen undeutlichen Streifen des Landes am Horizont erahnen können, das die Einwohner von Smedieby und die Einwohner von Posthusby, nicht zu vergessen, Kontinent nannten, und es war ihm leicht erschienen, dorthin zu kommen. Aber da irrte er gewaltig. Stunde um Stunde wanderte er ohne Unterlass und ohne sein Tempo zu drosseln, und er aß seinen Proviant und trank sein Wasser, bis auch das zu Eis gefroren war, und trotzdem schien er dem Horizont nicht näher zu kommen.
    Zum Nachmittag hin begann es zu schneien, und Odin fror bis aufs Mark. Er konnte sich kaum bewegen, und jeder einzelne Schritt schien sein letzter zu sein. Er war nicht mehr sicher, ob er die Küstenlinie je erreichen würde, die sich jetzt hinter dichtem Schneegestöber verbarg. Aber schließlich setzte Odin, lange nachdem es dunkel geworden war und lange nachdem aus dem Schneefall ein Schneesturm geworden war, fast ohne es zu merken, den ersten Fuß auf den Kontinent.

II Niflheim & Muspelheim
    Niflheim lag nördlich des Nichts
Muspelheim gen Süden
     
    Das Nebelland Niflheim
versteckte Ilvergelmer
aus dem Schoß Elivagar sprang
gab Leben den Mutterflüssen
     
    Ins Nichts Elivagar floss
zwölf heiße Ströme wurden zu Schnee
bis nichts anderes das Nichts mehr war
als Nebel, Eis und arktischer Dunst
     
    Das Flammenreich Muspelheim
spie Funken und spie Glut
Surturs Schwert im Schlage schwang
es sterbe der Winter, lebe der Sommer
     
    Ginnungagap war kalt und nichts
doch Surtur den Sieg errang
das Feuer das Eis schmolz Frost vertrieb
der Reif nun ungeheuerlich und blieb
     
    So ward geboren der Riese Ymer

    E s war kurz nach acht Uhr. Sigbrit Holland fuhr auf dem kurvigen Küstenweg Richtung Norden. Sie war müde, und ihr war ein wenig wunderlich zu Mute. Obwohl Feiertag war, war sie in die Bank gefahren, um den Halbjahresbericht über die Bewegungen des Dollars fertig zu stellen. Doch sie hatte langsam und mechanisch und ohne ihren normalen Enthusiasmus gearbeitet. Sie war mit dem Bericht fertig geworden, aber nicht zufrieden damit. Jetzt war es spät, und sie wusste, dass ihr Mann ärgerlich darüber sein würde, dass sie nicht zu Hause war, bevor die Gäste kamen.
    Ein kräftiger Windstoß schüttelte das Auto, und nur mit Mühe konnte Sigbrit Holland verhindern, dass es im Graben landete. Sie fuhr so schnell sie konnte, aber die Welt vor der Frontscheibe war in eine graue Masse dichten Schneefalls und in die Nacht gehüllt, auf die die Scheinwerfer wenig Eindruck machten, der Weg war glatt wie Eis, und sie kam nur langsam vorwärts. Der Schneesturm schien andere davon abgehalten zu haben, sich hinauszuwagen, sie sah weder Autos noch Fußgänger. Sigbrit Holland blickte auf die Uhr des Instrumentenbrettes, und als die Straße kurz nach Hverv Havn gerader wurde, trotzte sie dem Wetter und erhöhte die Geschwindigkeit.
    Doch plötzlich war da etwas. Sigbrit Holland trat auf die Bremse, riss das Auto scharf nach links und schaffte es auf wundersame Weise der Silhouette auszuweichen, die mitten auf dem Weg aufgetaucht war. Das Auto drehte sich im Schnee, und als es endlich zum Stehen kam, stand es mit der Nase nach Süden in der verkehrten

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