Odins Insel
Martinussen ihn bat, einen Moment zu warten.
»Mein Freund«, sagte der Doktor und legte seine Hand freundschaftlich auf Odins Arm. »Ich befürchte, dass Sie gestern zu lange draußen im Schneesturm gewesen sind. Und obwohl Ihr Äußeres merkwürdigerweise keinen Schaden genommen zu haben scheint, glaube ich, dass Sie ein paar Tage hier bleiben müssen.«
Bekümmert zog Odin an seinem Bart, und Dr. Martinussen beeilte sich hinzuzufügen: »Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung. Es ist lediglich eine Frage der Vorschriften, die eingehalten werden müssen, reine Routine. Ich werde mich um alles
kümmern, und es wird bestimmt nicht länger als ein oder zwei Tage dauern, allerhöchstens drei.«
Ein Tag oder zwei oder allerhöchstens drei war länger, als Odin auf dem Kontinent hatte bleiben wollen, aber wenn die Vorschriften es erforderten, konnte er wahrlich nichts tun. Deshalb nickte er zustimmend und begann, so gut er konnte, den Weg nach Smedieby zu erklären, sodass Veterinär Martinussen Bescheid wusste, wenn sie aufbrechen konnten.
»Kein Grund zur Beunruhigung, mein Freund. Überhaupt keiner«, unterbrach Dr. Martinussen Odins Erklärungen mit einem breiten Lächeln. »Bevor Sie sich versehen, wird alles in Ordnung sein, vertrauen Sie mir«, sagte er und schellte nach der Krankenschwester.
Die nächsten Tage waren für Odin äußerst verwirrend. Verschiedene Personen, die in verschiedene weiße Kittel gekleidet waren, suchten ihn auf, um immer wieder die gleichen Fragen zu stellen. Und jedes Mal passierte genau das Gleiche: Odin beantwortete alle Fragen, so gut er konnte, aber zum ein oder anderen Zeitpunkt, fast immer dann, wenn er bei dem Meteorsturm oder seiner Beschreibung von Smedieby und natürlich Posthusby, nicht zu vergessen, angelangt war oder der seines Heims, das etwa mehrere Tagesreisen nördlich des Nordsterns lag, und wenn nicht vorher, dann doch nie später als an dem Punkt, wo die Einwohner Smediebys und die Einwohner Posthusbys, nicht zu vergessen, so freundlich waren, Herz und Hirn aufzubieten, dass er über das Meer zum Kontinent gehen konnte, erklärten ihm die weiß gekleideten Besucher, dass er Halluzinationen habe, und fragten ihn, was er eigentlich meinte und ob er sich an nichts anderes erinnerte.
»Ein Meteorsturm«, wiederholte Odin dann und »Smedieby, das bedeutendste Dorf östlich von Posthusby«, bis er schließlich aufgab und sich weigerte, überhaupt noch etwas zu sagen, während er darauf wartete, dass Veterinär Martinussen die Vorschriften erfüllte.
Die medizinischen Experten hielten mehrere Besprechungen über Odins Erkrankung ab. Sie zweifelten nicht daran, dass der
kleine alte Mann durch seinen zu langen Aufenthalt in der Kälte und im Schneesturm verwirrt war und Zwangsvorstellungen hatte, aber sie zweifelten auch nicht daran, dass er sich mit der Zeit erholen würde, wenn er nur die richtige Behandlung bekam und unter strenger Beobachtung gehalten wurde. Nein, das eigentliche Problem lag woanders: Sie waren nicht in der Lage, Odins Identität festzustellen. Sie hatten es bei der Polizei versucht, aber dort war niemand als vermisst gemeldet, auf den Odins Personenbeschreibung passte, und im Einwohnermeldeamt, wo sonst alle Einwohner des Landes registriert waren, war niemand mit Namen Odin Odin gemeldet. Die Frau, die den kleinen alten Mann ins Krankenhaus gebracht hatte, wusste ebenso wenig über seine Identität wie die Ärzte und war keine Hilfe. Ja, eigentlich war sie eher eine Plage. Sie hatte bereits viermal angerufen, um sich nach seinem Zustand zu erkundigen. Und ungeachtet wie oft die Krankenschwestern ihr auch erklärten, dass der kleine alte Mann Zwangsvorstellungen und Halluzinationen habe, beharrte sie weiter darauf, dass er an jenem Abend, als sie ihn aufgelesen hatte, ganz klar im Kopf wirkte – obwohl sie einräumen musste, dass er kein Wort gesagt hatte.
Die Ärzte überwiesen Odin von einer Abteilung in die andere, und jedes Mal, wenn Sigbrit Holland anrief, musste sie wiederholen, wer sie war und warum sie anrief, um nur immer wieder weiterverbunden zu werden, bis sie endlich jemanden erreichte, der ihr etwas über Odins Befinden mitteilen konnte und wollte. Und selbst dann wollten sie ihr nichts Näheres sagen, da sie keine Verwandte und deshalb nicht befugt war, überhaupt etwas zu erfahren. Der einzige Grund, dass es ihr überhaupt gelang, Odins Weg durch das Krankenhaus zu verfolgen, war, dass einige Krankenschwestern Sympathie für den
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