Odins Insel
gesagt hat, dass einer der Sprüche, die wir haben, richtig ist, aber dass er sich nicht erinnern kann, welcher, und dass es zudem noch einen gibt, der etwas mit Königen zu tun hat, aber dann wollte er auch nicht mehr sagen.« Der Fischer zuckte mit den Schultern. »Das haben die gesagt, die zu reden bereit waren.«
»Der Schmied in Smedieby ist der Einzige, den es gibt, auch wenn man Posthusby, nicht zu vergessen, mit einbezieht«, sagte Odin und zog an seinem Bart.
Brynhild Sigurdskaer hustete und stand auf, um etwas Wasser zu trinken. Auf dem Weg ließ sie ihre Hand über die Schulter des Fischers gleiten.
Sigbrit Holland sah in die andere Richtung. Ihre Finger trommelten schnell auf die Tischkante.
»Ein Inselschmied« , sagte Brynhild Sigurdskaer, als schmeckte sie die Worte. »Könige.« Sie zögerte. »Es gibt drei Sprüche, wenn nicht mehr. Die beiden, von denen du gehört hast, sind nicht die beiden, die es gibt.«
Der Fischer Ambrosius wartete, aber Brynhild Sigurdskaer sagte nichts mehr, und lange Zeit war es still im Steuerhaus. Dann klimperte die Uhr halb acht, und Sigbrit Holland sprang auf. Auch Brynhild Sigurdskaer erhob sich.
»Bleiben Sie doch zum Feuer«, sagte die durchsichtige Frau rau. »Die Zeiten ändern sich. Die Epoche des Lichts wird zur Epoche der Dunkelheit.«
»Vielleicht ist es auch umgekehrt.« Sigbrit Holland versuchte, sich zu einem Lächeln durchzuringen, aber es wurde kein wirkliches daraus. Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht.«
»Die Johannisfeiern sind dazu da, die Angst zu verbrennen«, fuhr Brynhild Sigurdskaer fort. »Sie hatten Recht in den alten Tagen, obwohl sie es falsch gemacht haben. Hexen zu verbrennen, sengt die Angst nicht einmal an. Sie hatten Angst vor der Frau, die weise war, aber nicht wegen ihr. Sie hatten Angst, weil sie genau wussten, was sie durch den Schaum der Oberfläche sah. Sie hatten Angst vor diesem Nichts, das in ihnen wohnte. Heute haben sie mehr Angst als je zuvor. Von Grauen gepackt
sind sie; ja, wie ist das Nichts gewachsen! Wie gerne würden sie auf die Hexe zeigen, wie gerne würden sie sie auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Mut ist so einfach und verlangt doch so viel von einem. Es ist leichter, die Hexe zu verbrennen. So vergessen sie, wozu die Johannisfeiern da sind: um die Angst zu verbrennen, auf die der endlose Tag Licht geworfen hat.« Brynhild Sigurdskaers Augen leuchteten weiß, aber sie fuhr in sanftem, fast unhörbarem Ton fort: »Und warum wanderst du nicht durch die Glut auf die andere Seite?«
Sigbrit Holland wurde blass.
»Das reicht!«, fuhr der Fischer Ambrosius scharf dazwischen.
Die durchsichtige Frau hörte auf zu sprechen, starrte aber weiter in Sigbrit Hollands Augen. Sigbrit Holland spürte einen unbekannten Angstknoten in ihrem Magen und fühlte sich plötzlich klamm vor kaltem Schweiß. Dann wurde sie wütend.
»Ich habe keine Angst vor dem Feuer«, zischte sie und starrte Brynhild Sigurdskaer an. Ihre Wangen gewannen ihre Farbe zurück. »Und ich werde den Kapitän von Thorvaldsens Schiff finden, koste es, was es wolle. Ihr beide könnt ja euer kleines Wortspiel fortsetzen.«
Sigbrit Holland sprang über die Reling auf den Kai und lief, so schnell sie konnte, den ganzen Weg zurück zu ihrem Auto, das auf dem Parkplatz hinter der Bank stand. Sie war sehr spät dran.
In derselben Nacht – während die Feuer in Südnorden brannten und der Glanz der Flammen mit dem Licht der Nacht konkurrierte – hatte der gewissenhafte Lennart Torstensson den ersten seltsamen Traum.
Lennart Torstensson wand sich. Er befand sich in einem dunstigen kalten dunklen Nichts, das weder Anfang noch Ende hatte. Dann tauchte plötzlich ein Baum vor ihm auf. Der Baum wuchs und wuchs, weit in einen dunstigen blauen Himmel hinein, der sich mit dem Wachstum des Baumes ausweitete. Lennart Torstensson sah wieder vor sich, und nun war der Stamm des Baumes so breit geworden, dass er wie eine Mauer war, die sein gesamtes Gesichtsfeld ausfüllte. Lennart Torstensson war von Grauen erfüllt, und als ein langer starker Ast nach seiner
Taille griff und ihn hochhob, war er vor Schreck wie gelähmt. Bald befand er sich so hoch in der Luft, dass er aufhörte, gegen den Ast zu kämpfen, und sich stattdessen an ihm festklammerte. Höher und höher hob der Ast Lennart Torstensson, bis er höher im Himmel war, als er je geglaubt hatte, dass jemand kommen konnte. Als sie die Baumspitze erreicht hatten, die sich grenzenlos in alle Richtungen
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