Odo und Lupus 04 - Die Witwe
wollte. Doch was nützte das schon? Das Unglück nahm seinen Lauf. Um die Mühle betreiben zu können, brauchte der Meginfred einen Müller. Es gab einen alten Kriegsgefangenen bei seinem Nachbarn, einen Spanier, der sich dunkel erinnerte, dieses Handwerk einmal gelernt zu haben. Den lieh er gegen eine Gebühr, doch viel hatte der Mann nicht zu tun, fast gar nichts. Täglich stieg Meginfred zur Mühle hinauf und verlangte die Einnahmen. Es wurde von Mal zu Mal weniger. Als ihm der Müller wieder einmal nichts geben konnte, weil niemand gekommen war, bekamen sie Streit. Meginfred glaubte sich betrogen, und im Zorn erschlug er den Spanier. Das war das Ende. Der Nachbar verklagte ihn wegen Mordes an einem besonders wertvollen Knecht – denn der Mann beherrschte ja ein Handwerk, auch wenn er es sonst überhaupt nicht ausgeübt hatte –, und ich mußte den Meginfred zu einem Wergeld von vierzig Solidi verurteilen. Aber er hatte nichts mehr außer Schulden. Zu allem Unglück brannte auch noch sein Haus ab. Die letzte seiner Frauen hatte sich längst mit einem alemannischen Klostervogt davongemacht. So blieben ihm nur das Stück Wald, die wertlose Mühle und seine zwei Kinder: der Irmo, der für Brot, ein Dach und geringes Entgelt in meiner Gefolgschaft diente – und die Luitgard.“
„Damit war er doch aber keineswegs in einer verzweifelten Lage“, bemerkte ich. „Wenn Kinder oder nahe Verwandte da sind, lassen sich solche Wergeldforderungen über Generationen verteilen.“
„Gewiß. Wenn die Partei der toten Hand zustimmt und die der lebendigen Bürgschaft leistet. Aber Meginfred fand keine Bürgen. Er war nicht nur verschuldet, sondern wegen seines aufbrausenden, unverträglichen Wesens auch mit aller Welt im Unfrieden. Er bedrohte sogar seinen Nachbarn, den Wergeldgläubiger! Kein Wunder, daß der auf sofortiger Zahlung bestand. Was machen? Der Nachbar hätte am liebsten den Irmo in Schuldhaft genommen. Aber der war ja bei mir, und ich konnte ihn nicht entbehren, hatte auch damals schon meine Pläne mit ihm. So war ich bereits entschlossen, ihm die vierzig Solidi vorzustrecken, damit er seinem Vater aus der Verlegenheit half … doch da ergab sich im letzten Augenblick noch eine andere Möglichkeit.“
„Der leidende Teil der Menschheit wurde ins Spiel gebracht!“ sagte Odo.
„Dem Bardo vom Rabennest war die Frau gestorben“, fuhr Herr Rothari fort, die Bemerkung überhörend, „und als er sich nun nach einer neuen umsah, fiel sein Auge auf die Luitgard. Er ließ um sie werben und wurde erhört. Natürlich war das eine schwere Entscheidung, denn Bardo war alt und häßlich, und sein bösartiges, hinterhältiges Wesen war bekannt. Er war gewiß nicht der Gemahl, den die Luitgard sich gewünscht hatte …“
„… aber er zahlte einen Brautpreis, mit dem der Totschlag ihres Vaters gesühnt werden konnte.“
„Und mehr! Es war so viel, daß Meginfred auch seine Schulden loswurde. Er konnte sogar eine Wiese erwerben … für die Herde, die zum Muntschatz gehörte. Inzwischen hat er Wiese und Herde wieder veräußert. Wie schon gesagt, er ist ziemlich heruntergekommen, meist betrunken und nicht mehr ganz bei Verstand.“
„Hat er bereut, seine Tochter verkauft zu haben?“
„Mag sein. Doch es geschah in der Not. Wer will ihn anklagen? Sind solche Geschäfte nicht auch unter Herrschern üblich? Denkt nur an Desiderius, den König der Langobarden, der seine Tochter unserm Herrn Karl zur Ehe gab. Er war in Not und wollte sich damit den Frieden erkaufen. Statt dessen verlor er sein Reich, und seine Tochter wurde nach einem Jahr verstoßen und endete in Klosterhaft. Oder nehmt jenen alten König der Westgoten, der vor zweihundert Jahren …“
„Bleiben wir bei unserem Mühlenkönig“, sagte Odo, der dem gebildeten Herrn nicht gestatten wollte, in einen Vortrag über Geschichte auszuweichen. „Er muß seine Tochter mit Haut und Haar verkauft haben. Denn wie wir hörten, hat Garibald jetzt die Munt über sie, obwohl die ja eigentlich nach dem Tode des Ehemanns an den Vater zurückfallt.“
„Das war vielleicht eine Bestimmung des Ehevertrags. So genau bin ich nicht unterrichtet, das ist ja Angelegenheit der Familien. Da die Luitgard ins Rabennest ohne Mitgift kam, erhielt sie auch keine Morgengabe {14} und hat somit kein Wittum {15} . Sie besitzt also nichts, wahrscheinlich nicht einmal die Kleider auf ihrem Leibe. So ist ihre Stellung natürlich heikel.“
„Das heißt, nicht besser als die
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