Ödland - Thriller
über viele Jahre hinweg aufgebaut haben.«
»Das stimmt nicht! Ich...«
»An Ihrem Fall sehe ich absolut nichts Außergewöhnliches. Bei vielen amerikanischen Bürgern ist diese Störung latent vorhanden, weil man ihnen jahrelang weisgemacht hat, sie wären die Herren der Welt. In extremis wird man damit zum Massenmörder; schafft man es aber, seine Gefühle zu kanalisieren, bringt man es entweder zum Zocker, der sein Unternehmen für einen Coup an der Börse aufs Spiel setzt, oder zum Staatschef, der die Welt in Schutt und Asche legt, um seine Macht zu genießen. Historische Beispiele gibt es zuhauf - Nero, Attila, Napoleon, Hitler und in neuerer Zeit George Bush Jr. oder Präsident Cornell. Oder auch Leute wie Jim Jones von der Sekte Peoples Temple, der neunhundert Menschen in den Selbstmord getrieben hat, genau wie Moses Callaghan, Chef der Göttlichen Legion, mit seiner apokalyptischen Doktrin.«
»Soll das etwa heißen, dass Sie mich mit all diesen Verrückten in einen Topf werfen?«, explodiert Anthony.
Bestimmt ist er nicht eigens mit dem Auto nach Kansas City gefahren und hat sowohl die drohenden Plünderungen auf der K10 als auch die Gefahr der Shawnees auf dem Kriegspfad in Kauf genommen, um sich hier als Massenmörder titulieren zu lassen! Er will doch nichts anderes als ein wenig Ruhe und geistige Klarheit. Er sehnt sich danach, seine Albträume und Visionen endlich loszuwerden und dass Tony junior ihn nicht immer anschaut, als wäre er ein ekelerregendes Tier. Er möchte doch einfach nur wieder ein normales Leben führen, zum Teufel!
»Nein«, lächelt Dr. Castoriadis. »Sie haben ja auch noch niemanden getötet. Und wenn Sie beim Management Ihrer Unternehmen auch manchmal die Muskeln ganz schön spielen lassen, ist der Gesamteindruck doch immer noch relativ gesund. Wir sind uns über das Problem klar geworden, ehe es sich verselbstständigt; somit ist es noch nicht zu spät.«
»Warten Sie!« Fuller windet sich unbehaglich im Sessel. Seine Gedanken überschlagen sich. Er brauchte dringend eine Calmoxan und eine Neuroprofen. »Ich bin zu Ihnen gekommen, damit Sie mir helfen, diese störenden Visionen und Albträume loszuwerden. Jetzt reden Sie von ganz anderen Dingen und vergleichen mich mit Hitler und Cornell. Finden Sie das nicht ein bisschen heftig?«
»Das alles steht miteinander in Verbindung, mein Bester. Zwar kontrollieren Sie über Ihre diversen Firmengruppen ein gutes Stück Weltwirtschaft, aber Ihr Privatleben liegt völlig darnieder. Ihre Kinder sind - gestatten Sie mir den Ausdruck - ziemlich missraten, und Ihre Frau verlangt die Scheidung. Noch nicht einmal Ihre außerehelichen Beziehungen haben funktioniert. Im Grunde Ihrer Seele fühlen Sie sich verantwortlich für diese Fehlschläge; weil sich aber ein Vorstandsvorsitzender Ihres Formats keinen Irrtum leisten kann, halten Sie Ihre Umgebung für schuldig und Ihnen feindlich gesonnen. Und genau daher rühren Ihre Tötungsfantasien.«
»Es sind also nicht die Visionen, die solche Wünsche hervorrufen?«
»Absolut nicht. Ihre Visionen haben keinerlei Eigendynamik. Sie sind nichts als der Ausdruck Ihrer Schuldgefühle - Sie konnten den Tod Ihres Sohnes nicht verhindern, Sie konnten ihn nicht rächen, Sie konnten nicht einmal um ihn trauern. Sie waren der Überzeugung, von einem ›Parasit‹ - das war Ihr eigener Ausdruck! - befreit zu werden, und jetzt geistert dieser Parasit durch Ihr Unterbewusstsein. Das aber ist absolut normal.«
»Ist es auch normal, dass er mich in meinen Träumen jedes Mal tötet?«
»Aber natürlich«, lächelt der Therapeut und spielt mit seinem phallischen Füller. »Ein Akt der Selbstbestrafung, den Sie sich selbst auferlegen.«
»Für dieses Wissen kann ich mir weiß Gott nichts kaufen«, knurrt Fuller. »Finden Sie es denn auch normal, dass Junior mich mit Blicken taxiert, als wäre ich an allem Elend der Welt ganz allein schuld?«
»Das ist lediglich Ihre eigene Interpretation. Ich persönlich glaube nicht, dass ein unter Progeria leidender Autist in der Lage ist, ein Urteil zu fällen - über was auch immer. Die Wahrnehmungskapazität Ihres Sohnes entspricht ungefähr der einer Schnecke.«
»Gestatten Sie, dass ich diesbezüglich gewisse Zweifel hege.« Anthony verzieht das Gesicht. »Sie leben nicht mit ihm zusammen. Ich versichere Ihnen, dass er mich ansieht!«
»Selbstverständlich sieht er Sie an! Immerhin ist es so ungefähr das Einzige, dessen er noch fähig ist. Aber das heißt doch noch
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