Öffne deine Seele (German Edition)
ihm zu sehen bekam.
Du fehlst mir.
Meine Kehle war plötzlich eng. Selbst wenn ich gewollt hätte: In diesem Moment hätte ich kein Wort hervorbringen können.
Doch ich musste mehr vermeiden als Worte. Ich durfte ihm nicht den Hauch einer Ermutigung geben. Um seinet- und um meinetwillen, um Dennis’ willen.
Ich habe immer gewusst, zu wem ich gehöre.
Der Satz, den ich ihm damals zum Abschied gesagt hatte.
Und der die Wahrheit war. Mit 99-prozentiger, nein, 99,9-prozentiger Sicherheit.
So winzig der Zweifel auch war: Merz durfte ihn nicht sehen.
Ich rührte mich nicht, als er seine Hand sinken ließ, erwiderte nur seinen Blick.
Ein letztes Mal betrachtete er mich, doch jetzt konnte ich in seinen Augen nichts mehr lesen. Wie ein Fenster, dachte ich, das sich plötzlich geschlossen hat.
Er nickte stumm, drehte sich um und ging wortlos zu seinem Wagen zurück.
Erst als er die Tür schon wieder geöffnet hatte und im Begriff war einzusteigen, warf er einen letzten Blick über die Schulter.
«Am besten wartest du ab, bis du siehst, dass ich vom Gelände verschwinde. Ein Stück weiter gibt es ein Café. Wenn ich vorbeifahre, ist alles frei für deinen Auftritt.» Wärmer, aber gleichzeitig mit einem Zittern in der Stimme, bei dem ich spürte, dass es echt war: «Den Kaffee wirst du mögen.»
***
Die Dämmerung hatte eingesetzt, doch die Flutlichter von einem halben Dutzend Fernsehteams tauchten die Straße vor dem Sieverstedt-Anwesen in künstliche Helligkeit.
Jörg Albrecht drängte sich durch den Pulk von Journalisten und Gaffern.
Seine Anzugjacke hatte er geschlossen. Aufmerksamkeit zu vermeiden, hatte keinen Sinn mehr. Die Leute hatten gesehen, wie er im Gebäude verschwunden war.
«Hauptkommissar Albrecht? Hallo?»
Ein Mensch von den öffentlich-rechtlichen Sendern, an den er sich dunkel erinnerte.
Albrecht schüttelte stumm den Kopf. Er wollte glauben, dass die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten eine Spur seriöser arbeiteten als die private Konkurrenz. Doch wenn er jetzt den Mund aufmachte, würde sich die Meute in ihrer Gesamtheit auf ihn stürzen, und der Abend war zum Teufel.
Ausgeschlossen.
Er hatte noch eine Verabredung.
«Kommissar Albrecht! Nur eine einzige Frage!»
Mit einem unerwarteten Manöver wich er Sina Dewies aus, die ihm mikrophonbewehrt entgegenstürmte.
«Kommissar Albrecht! Ist es richtig, dass der Konsul einen Schwächeanfall erlitten hat und medizinisch versorgt werden muss?»
Er gab keine Antwort. Wo war sein Wagen? Die Scheinwerfer der Pressemenschen hatten ihn halb blind gemacht.
«Kommissar Albrecht! Stimmt es, dass Sie Verbindungen zwischen Falk Sieverstedts heimlichem Intimleben, den Aktivitäten von Sieverstedt Import/Export in Südostasien und dem dortigen Kinderhandel nachgehen?»
Jörg Albrecht blieb stehen und starrte Dewies an.
Der Fund der Leiche lag keine vierundzwanzig Stunden zurück. Und schon war die Journaille im Begriff, umzuschalten, mit Dreck nach dem Toten und seiner Familie zu werfen.
«Nein, verdammt!», knurrte der Hauptkommissar.
Und das war ein Fehler.
«Stehen Sie in dieser Frage im Kontakt mit den internationalen Behörden?»
Albrecht fluchte wortlos.
Der dümmste Fehler überhaupt. Niemals dementieren.
Ein Dementi stachelte den Mob noch an.
Schweigen war die einzige Waffe.
Schweigen und Entschlossenheit.
Als er zehn Minuten später endlich am Steuer saß, war sein rechter Schnürsenkel gerissen, an seiner Anzugjacke fehlte ein Knopf, und sein Schienbein, das unsanft mit der Stoßstange eines Aufnahmewagens Bekanntschaft gemacht hatte, pochte mit seinen Schläfen um die Wette.
Die Kupplung ächzte protestierend, als er den Rückwärtsgang einlegte.
Weg. Nur weg.
Er kam zweihundertfünfzig Meter weit und hatte das Prominentenreservat rund um den Falkenstein noch nicht verlassen, da meldete sich sein Funkgerät.
«Ja!», bellte Albrecht.
«Hauptkommissar?» Faber. «Sind Sie noch in Blankenese?»
Nicht aus freien Stücken, dachte der Hauptkommissar.
«Wie schnell schaffen Sie’s zum Volkspark? Da scheint es mächtig Ärger zu geben.»
Albrecht hatte das Blaulicht bereits in der Hand und setzte es mit einer wütenden Bewegung auf das Autodach.
Der Volkspark.
Lehmann und Seydlbacher.
***
Merz hatte recht gehabt.
Der Kaffee war wirklich gut.
Allerdings hatte ich mir bereits die dritte Tasse bestellt, als sich aus dem zunehmenden Zwielicht endlich ein Scheinwerferpaar löste, das der Form nach zu seinem Jaguar
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