Öffne deine Seele (German Edition)
Identität zwischen Falk und Felix zu bestätigen.
«Sehen Sie? Wild und gefährlich. Sehnen wir uns nicht alle ein bisschen danach? Die Luft des wilden und gefährlichen Lebens zu schnuppern?»
Ein tiefer, genießerischer Atemzug.
«Die verbotenen Dinge?»
Ich blinzelte. Worauf wollte der Mann hinaus?
Schnuppern?
Automatisch kräuselte ich die Nase.
Das war unmöglich!
Merz hatte mir nur die Haare aus der Stirn gestrichen. Der einzige Moment, in dem er mir wirklich nahe gekommen war. Haut an Haar.
Aber hatte ich nicht selbst noch Stunden später das Gefühl gehabt, dass da etwas von seinem Duft geblieben war? Antaeus von Chanel?
Konnte ein Mensch in der Lage sein, das jetzt noch zu riechen? An mir ?
Wir haben Möglichkeiten, Frau Friedrichs, Sinne, die den meisten von uns überhaupt nicht bewusst sind.
Marius’ eigene Worte. Ich hatte geglaubt, er wollte auf den berühmten sechsten Sinn anspielen, der ihm nachgesagt wurde: Er spürte die Gedanken seiner Anrufer.
Ich weigerte mich, daran zu glauben, dass ein Mensch dazu in der Lage sein sollte.
Doch Marius war blind. Oder zumindest etwas, das dem nahekam. Waren nicht bei vielen blinden Menschen die übrigen Sinne sehr viel stärker ausgeprägt? Das Gehör oder eben …
Und er nannte mich Helena !
Marius sah mich an.
Natürlich sah er mich nicht wirklich, aber die Silhouette mit der dunklen Sonnenbrille wies noch immer in meine Richtung.
Er wartete auf eine Antwort.
«Ehrlich gesagt …» Ich war äußerst zufrieden, wie ruhig meine Stimme klang. «Wilde und gefährliche Dinge habe ich in meinem Job mehr als genug. Und bei den verbotenen Dingen schreiten wir ein. Dazu sind wir da, nicht wahr?»
Seine Haltung veränderte sich um eine Idee. Als ob er …
Eindeutig: eine Verneigung. Respekt. Clevere Antwort. Ich unterdrückte ein Grinsen und riss mich zusammen.
Verdammt, Friedrichs! Vergiss nicht, weshalb du hier bist!
«Hatten Sie den Eindruck, dass Felix in verbotene Dinge verwickelt war?», fragte ich.
«Wenn ich ihn richtig verstanden habe, ist seine Familie doch fürchterlich reich?» Eine Handbewegung, die deutlich machte, dass ihn solche Dinge nicht sonderlich interessierten. «Wird man so reich, wenn man sich an die Gesetze hält?»
«Wenn man lange genug dafür arbeitet.» Ich hob die Schultern. Die Sieverstedts gab es schließlich seit vier oder fünf Generationen. «Welchen Rat haben Sie Felix denn nun gegeben?», fragte ich. «Als sein Freund .»
Zum ersten Mal schien Marius zu zögern.
«Da Sie noch keine Freundin sind, Helena, bin ich mir nicht sicher, ob Sie wirklich verstehen, was ich hier tue», sagte er schließlich. «Wer sich einfach nur durch die Kanäle zappt, könnte den Eindruck bekommen, dass ich meinen Rat wahllos gebe, aus einer Laune des Augenblicks heraus, obwohl ich noch gar nicht richtig durchschaut habe, worum es meinen Anrufern überhaupt geht. Ist das Ihr Eindruck?»
Ich antwortete nicht.
Ob das mein Eindruck war? Das war meine Überzeugung ! Einzig und allein aus diesem Grund war der Mann seit Jahren auf Sendung: Weil er regelmäßig Leute zusammenfaltete, bevor die auch nur richtig zu Wort gekommen waren.
Diese Sorte rief allerdings selten ein zweites Mal an.
«Für meine Freunde, Helena, nehme ich mir Zeit», erklärte er mit einer weit ausholenden Geste.
Automatisch hatte ich ein Bild im Kopf. Allerdings nicht irgendeins, sondern Leonardo da Vincis Das Letzte Abendmahl . Jesus Christus, der Brot und Wein austeilte.
Marius verteilte Ratschläge – an seine Freunde.
«Wenn für den Zuschauer, der einfach nur zur Unterhaltung meine Sendung verfolgt, dennoch der Eindruck entsteht, dass ich mit meinem Rat voreilig bei der Hand wäre, ist das zwar nachvollziehbar, aber vollständig falsch. Wahre Freunde, Helena, müssen in solchen Momenten nicht lange nachdenken. Wahre Freunde blicken auf den Grund der Seele. Wahre Freunde spüren die Gedanken des anderen. Und bei manchen von uns ist diese Gabe stärker als bei anderen. Manchmal …» Plötzlich schien er zu sich selbst zu sprechen, was ich ihm sogar abgekauft hätte – wäre da nicht das überdimensionierte Richtmikrophon gewesen, einen halben Meter neben mir.
Für die Zuschauer natürlich unsichtbar.
«Manchmal würde ich mir wünschen, ich wäre nicht mit dieser Gabe geschlagen», murmelte er.
Die Hände noch zwanzig Zentimeter höher, dachte ich, und du machst den Jesus am Kreuz perfekt.
«Und was ist Ihrer Gabe zu Felix eingefallen?»,
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