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Öffne die Augen: Thriller (German Edition)

Öffne die Augen: Thriller (German Edition)

Titel: Öffne die Augen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franck Thilliez
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dieses Elends an und gaben ihm durch Gesten zu verstehen, er solle sie mit seinem Handy fotografieren. Sie wollten nicht einmal Geld. Nur ein wenig Aufmerksamkeit. Sharko war davon sehr berührt und ging auf das Spiel ein. Nach jeder Aufnahme kamen die Kinder mit ihren verklebten Gesichtern zu ihm, um das Bild zu sehen, und brachen in Gelächter aus. Ein kleines Mädchen, schmutzig wie von Kohle geschwärzt, ergriff die Hand des Kommissars und streichelte sie zart. Selbst der Dreck und die Armut konnten ihrer Schönheit nichts anhaben. Die Kleidung der Kleinen war aus Zementsäcken gefertigt. Sharko beugte sich hinab und strich ihr durch das fettige Haar.
    » Du hast Ähnlichkeit mit meiner Tochter… ihr habt alle Ähnlichkeit mit ihr…«
    Er wühlte in seinen Taschen und holte drei Viertel seines Geldes heraus, das er unter den Kindern verteilte. Ein paar hundert Pfund, für ihn unbedeutend, für sie aber der Gegenwert von tonnenweise durchwühltem Müll. Die Kinder verschwanden zwischen den Müllbergen und stritten sich um das Geld.
    Der Kripobeamte rang nach Luft und setzte seinen Weg im Laufschritt fort. Ägypten wühlte sein Innerstes auf. Er musste an Paris denken, an das pulsierende Leben, das die Leute dort führten, mit ihren Handys, ihren Autos und den Ray-Ban-Sonnenbrillen, die sie ins Haar hinaufschoben. Und die sich beklagten, weil ihr Zug fünf Minuten Verspätung hatte.
    Hinter den Müllbergen schien eine Art menschlicher Besiedlung aufzutauchen. Sharko sah Gebäude, die erbärmlichen Sozialwohnungen ähnelten. Weiter entfernt die Verkaufsstände von Händlern, Behausungen, wenn man diese so bezeichnen wollte, mit Wäsche, die aus den Fenstern hing wie eine bunt zusammengewürfelte Armee des Elends, und Ziegen auf den Dächern. Sharko entdeckte sogar ein Nonnenkloster, The Coptic Orthodox Community of Sisters. Kinder in Schuluniform liefen in Gruppen über einen Hof, sie beteten und sangen.
    Endlich erreichte Sharko das Krankenhaus des Salam-Zentrums. Ein graues, lang gestrecktes Gebäude, das nach einer Spitalambulanz aussah. Im Inneren spürte man sofort, dass es an allem fehlte, und nahm den Kampf dieser Menschen wahr, die im Schatten verborgen das Unmögliche versuchten. Ein armseliger Warteraum, sparsam möbliert mit Stühlen vom Sperrmüll und kleinen Tischen und mit diesen zweiflügligen Türen mit rundem Sichtfenster, die an Operationssäle in ägyptischen Kinofilmen aus den Vierzigerjahren erinnerten. In den Ecken stapelten sich Kartons mit Medikamenten, die die Initialen des französischen Roten Kreuzes trugen.
    Sharko wandte sich auf Englisch an eine Schwester, die im Warteraum saß. Sie begleitete ein Kind, das pfeifend atmete. Im Laufe des Gesprächs gelang es ihm, ins Büro des Krankenhausleiters vorgelassen zu werden, Taha Abu Zeid. Die Gesichtszüge des Mannes verrieten seine nubische Herkunft: dunkle Haut, fleischige Lippen, schmaler Schnurrbart, breite Nase. Er tippte gerade etwas in einen alten, irgendwo aufgegabelten Computer, für den man in Frankreich nicht einmal mehr zehn Euro bekommen würde. Sharko klopfte an die offene Tür.
    » Entschuldigen Sie?«
    Der Mann hob den Kopf und antwortete auf Englisch:
    » Ja?«
    Sharko stellte sich kurz vor. Hauptkommissar aus Frankreich, dienstlich in Kairo. Der Arzt stellte sich seinerseits vor. Als überzeugter Christ leitete er mit den Schwestern des koptischen Klosters eine Kinderkrippe, ein Krankenhaus, ein Behindertenzentrum und eine Entbindungsstation. Hauptaufgabe der Klinik war es, die Zabaleen, die Müllsammler, von denen über fünfzehntausend in den Wohnblöcken rund um die » Baustelle« lebten, während fünftausend direkt im Unrat schliefen und aßen, zu behandeln und ihnen die Grundregeln der Hygiene beizubringen.
    Fünftausend… Sharko dachte an das kleine Mädchen, das seine Hand ergriffen hatte. Für ein paar Minuten vergaß er seine Ermittlungen und wollte mehr über dieses Phänomen in Erfahrung bringen:
    » Ich habe diese armen Leute in den Straßen von Kairo gesehen. Kinder, die jünger als zehn Jahre sind und Müll sammeln, den sie auf Karren, von Eseln gezogen, laden. Sind das die Müllmenschen?«
    » Ja. Verteilt auf die acht Elendsviertel der Hauptstadt gibt es über hunderttausend von ihnen. Jeden Tag brechen die Männer und Kinder, die alt genug sind, von dort mit ihren Karren auf, um die Abfälle Kairos einzusammeln. Die Frauen und die kleineren Geschwister sortieren alles. Anschließend wird der Müll an

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