Öffnet den Himmel
handelt sich nicht um eine Frage der Vergebung, Altardiener Mondschein“, antwortete der ältere Mann. „Es ist vielmehr eine Frage des Verstehens. Ich schere mich keinen Deut um Vergebungen. Was sind deine wirklichen Ziele, Mondschein? Wonach strebst du?“
Der Altardiener zögerte einen Moment mit der Antwort – aus zwei Gründen: Einmal erwies es sich immer als kluge Vorgehensweise, die eigenen Worte sorgfältig abzuwägen, bevor man sie vor einem höhergestellten Mitglied der Bruderschaft aussprach, und zweitens wußte er nur zu gut, auf welch dünnem Eis er sich bewegte. Nervös zupfte er an den Falten seines Gewandes und ließ die Augen über die Pracht der im gotischen Stil errichteten Kirche wandern.
Beide standen auf dem Balkon und sahen auf das Kirchenschiff hinunter. Im Moment fand keine Andacht statt, aber trotzdem hielten sich ein paar Gläubige in den Bänken auf und knieten vor der blauen Strahlung des kleinen Kobalt-Reaktors auf der vor ihnen liegenden Empore. Dies war die N’York-Kirche der Bruderschaft der Immanenten Strahlung, die drittgrößte im Großraum New York. Mondschein war erst vor sechs Monaten hier eingetreten, an dem Tag, als er zweiundzwanzig geworden war. Damals hatte er noch geglaubt, ein echtes religiöses Bedürfnis habe ihn dazu getrieben, sein Schicksal in die Hände der Vorster zu legen. Doch heute war er sich darin nicht mehr so sicher.
Er hielt sich an der Balkonbrüstung fest und sagte mit leiser Stimme: „Ich möchte den Menschen helfen, Bruder. Der Menschheit im allgemeinen und im besonderen. Ich möchte ihnen helfen, den richtigen Weg zu finden. Und ich möchte, daß die Menschheit sich ihrer größeren Ziele bewußt wird. Wie Vorst sagt.“
„Verschone mich mit Vorsts Wort, Mondschein.“
„Ich möchte dir doch nur begreiflich machen …“
„Das weiß ich. Hör einmal, begreifst du denn nicht, daß du im ordnungsgemäßen Weg nach oben kommen wirst? Du kannst deine Vorgesetzten nicht übergehen, Mondschein, ganz gleich, wie ungeduldig du auch sein magst, die Spitze zu erreichen. Komm doch einen Moment in mein Büro.“
„Jawohl, Brüder Langholt. Alles, was du sagst.“ Mondschein folgte dem älteren Mann über den Balkon bis in den Flügel der Kirche, wo die Diensträume untergebracht waren. Das Gebäude war so gut wie neu und irgendwie beeindruckend schön – ein deutlicher Unterschied zu den schäbigen Ladenlokalen in den Slumgegenden, zu den ersten Vorster-Kirchen vor einem Vierteljahrhundert. Langholt berührte mit einer knochigen Hand den Knauf, und rasch tat sich die Tür zu seinem Büro auf. Beide traten ein.
Es war ein kleiner, nüchtern eingerichteter Raum, dunkel und düster, die Decke war in echt gotischem Stil gehalten. Bücherregale zogen sich die Wände entlang. Der Schreibtisch bestand aus einer polierten Ebenholzplatte, auf der ein Blaues Miniaturlicht glühte, das Symbol der Bruderschaft. Mondschein entdeckte noch etwas anderes auf dem Schreibtisch: den Brief, den er dem Distriktinspektor Kirby geschrieben hatte und in dem er darum bat, zum genetischen Zentrum der Bruderschaft versetzt zu werden.
Mondschein lief rot an. Das bereitete ihm keine großen Mühen: Seine Wangen waren plump und wie zum Erröten geschaffen. Mondschein war ein Mann, der nur eine Idee größer als durchschnittlich groß war; er neigte leicht zum Übergewicht, hatte dunkles, kurzgeschnittenes, rauhes Haar und trug ernsthafte Gesichtszüge. Mondschein fühlte sich auf absurde Weise unreif im Vergleich mit diesem hageren, asketisch wirkenden Mann, der mehr als zweimal so alt wie er war und ihm hier diese Standpauke verabreichte.
Langholt sagte: „Wie du siehst, haben wir deinen Brief an Inspektor Kirby.“
„Sir, der Brief war vertraulich. Ich …“
„In dieser Bruderschaft gibt es keine vertraulichen Schreiben, Mondschein! Und deshalb hat Inspektor Kirby den Brief an mich weitergeleitet. Und wie du siehst, hat er eine persönliche Bemerkung hinzugefügt.“
Mondschein nahm den Brief. Eine kurze Notiz war in die linke obere Ecke gekritzelt worden. „Der hat es aber furchtbar eilig, was? Setzen Sie ihn mal ein paar Stufen hinab. R. K.“
Der Altardiener legte den Brief wieder hin und wartete auf den lähmenden Zornausbruch. Doch statt dessen mußte er feststellen, daß der ältere Mann freundlich lächelte.
„Warum wolltest du nach Santa Fe, Mondschein?“
„Um an den dortigen Forschungen mitzuwirken. Und am … am Zuchtprogramm.“
„Du bist kein
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