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Öl auf Wasser - Roman

Öl auf Wasser - Roman

Titel: Öl auf Wasser - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlag Das Wunderhorn <Heidelberg>
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übertönt, der wie ein böses Vorzeichen plötzlich über uns auftauchte. Der Major sah hoch, dann zog er sein Funksprechgerät hervor und hielt es ans Ohr. Als das Gespräch beendet war, hatte sich ein befriedigtes Grinsen auf seinem Gesicht breit gemacht.
    »Macht euch auf das gefasst, was ihr gleich zu sehen bekommen werdet. Irikefe ist fast nur noch Schutt und Asche, dank des Jagdhubschraubers da oben. Nicht eine Hütte steht mehr …«
    »Und die Bewohner?«
    »Die meisten leben noch, nehme ich an. Aber ihr müsst natürlich trotzdem mit jeder Menge Opfern rechnen. Wir sind im Kriegsgebiet … Seht, seht, ihr könnt von hier aus schon den Rauch erkennen.«
    Wir sprangen vom Boot in das unruhige Wasser. Soldaten im Kampfanzug standen am Ufer aufgereiht, die Waffen auf uns gerichtet. Sie geleiteten uns zu den Bäumen und anschließend zu einem Trümmerfeld, in dem ich die Überreste des Skulpturengartens erkannte. Die Erinnerung ist nur ein Blick aus dem Autofenster, impressionistisch, ständig anders. Von allem, was ich an jenem Tag sah, und von allen Worten, die ich zu hören bekam, hinterließ der Anblick der zerbrochenen Statuen den größten Eindruck. Die Arme und Beine und Köpfe vom Leib getrennt. Ich erinnere mich an ein Gesicht, dessen Schreckensausdruck so lebensecht war, dessen Augen so beweglich, dass sie mich anstarrten und mir folgten, als ich vorüberging, die Nase gebrochen, der Mund halb geöffnet, als wollte die Skulptur mir ein Geheimnis verraten.
    Als wir vom Boot sprangen, war das Gefecht bereits vorbei, aber in der Erde schwelten noch die Überreste des Kampfes, die Hütten qualmten noch, und die Soldaten feuerten ab und zu in die Luft, während sie die Dorfbewohner auf einer großen Lichtung zusammentrieben und herauszufinden suchten, wer von ihnen zu den Rebellen gehörte und wer nicht. Ich sah die Hütte, in der wir übernachtet hatten und den Baumstumpf, auf dem ich einst saß. Zaq ließ sich schwer auf die erste ebene Fläche sinken, die sich finden ließ. Ich konnte mich nicht hinsetzen – ich mischte mich unter die Glaubensanhänger, versuchte, ein vertrautes Gesicht zu finden, Gloria oder Naman, und, ja, da war ein bekanntes Gesicht, obwohl es zur Hälfte zugeschwollen und blutverkrustet war. Es gehörte einem Mann, der beim Abendessen bei Gloria und Naman gesessen hatte, und wenn ich nicht aufmerksam und beinahe schon aufdringlich in die Gesichter geschaut hätte, hätte ich ihn nicht erkannt. Sein einst so reines weißes Gewand war jetzt mit dem Grün zerdrückter Blätter und Rost und dem Rot von Blut befleckt, und die Seite des Gesichts, die noch zu Ausdruck fähig war, schaute leer, verloren, müde drein wie bei einem Mann, der nach einem langen Fußmarsch Durst hat, aber nicht weiß, wo er nach Wasser oder einem Platz zum Ausruhen suchen soll. Als ich neben ihm stehen blieb und seine Hand nahm und mich vorstellte, leckte er sich die aufgesprungenen Lippen und versuchte zu lächeln.
    »Ah, der Reporter. Aber was machen Sie hier? Hier ist es sehr gefährlich für Sie. Sie hätten nicht zurückkommen dürfen.«
    »Wo sind Gloria und Naman?«
    Er zeigte unbestimmt in eine Richtung und ging weiter; seine Augen suchten die Umgebung nach etwas im Schutt ab. Eine Frau brachte mich zu Naman. Weitere Frauen umringten ihn. Alle weinten und hielten einander, und er ging von einer zur anderen und beruhigte sie. Ich schüttelte ihm die Hand und er forderte mich auf, mich neben ihn zu setzen. Wie bei den anderen war auch sein Gewand blutbeschmiert. Vielleicht war es seins, vielleicht auch nicht. Mir fiel nichts zu sagen ein. Ich zeigte in die Gegend.
    »Die ganzen Statuen sind kaputt.«
    »Das ist die Natur des Seins. Es wird etwas geschaffen, es blüht eine Zeitlang, wenn es blühen kann, dann hört es auf zu sein.«
    Er erzählte, dass zwei Tage zuvor die Rebellen gekommen waren. Die Glaubensanhänger hatten wie immer ihr morgendliches Tauchbad genommen und ihren Hymnus an die Sonne gesungen, als sie sich plötzlich von Bewaffneten umzingelt sahen. Natürlich waren die Rebellen schon früher immer mal bei ihnen aufgetaucht, aber so war es noch nie abgelaufen – normalerweise baten sie um Essen oder medizinische Ausrüstung und Medikamente oder um Kleidung; einmal versuchten sie, eine Glaubensanhängerin zu entführen, doch hatte Naman sich vor die Frau gestellt und gesagt, dass sie ihn vorher erschießen müssten, und selbstverständlich hatte ihr Anführer, der richtige Professor, ein

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