Öl auf Wasser - Roman
Zaq wachte ebenfalls gerade erst auf, aber sein Blick war schon wach und er versuchte, auf die Beine zu kommen.
Es war Naman in Begleitung zweier Männer, die ich noch nie gesehen hatte, die aber, ihrer Kleidung nach zu urteilen, ebenfalls Priester waren. Sie standen mit hinter dem Rücken verschränkten Händen da, der Ernst, der sie umgab, schien so hart wie ein Fels. Naman in der Mitte war groß und stand aufrecht, die beiden anderen waren kleiner, untersetzter und älter als er. Der eine war dünn und kahl und trug einen Schnurrbart, der andere war beleibt und hatte einen dichten Haarschopf.
»Das sind meine Priesterkollegen, und zusammen sprechen wir für die ganze Gemeinschaft.«
Zaq stand auf und trat auf sie zu.
»Willkommen euch, aber musstet ihr uns auf diese Art wecken?«
»Ihr habt großes Unrecht begangen. Indem ihr letzte Nacht zum Friedhof gegangen seid und ein Grab geöffnet habt, habt ihr den Ort entweiht, und jetzt …«
»Langsam, langsam. Worüber redest du? Wer hat gesagt, wir wären letzte Nacht auf dem Friedhof gewesen?«
Zaq versuchte, die unnachgiebigen Priester auszustechen, versuchte, sie ebenso unverwandt anzustarren wie sie ihn, aber weder in seinen Augen noch in seiner Stimme lagen Kraft und Überzeugung. Ich spürte, dass Naman irgendwie verändert war: Das war nicht der Mann, mit dem ich mich gestern unterhalten hatte. Er schien entrückter, trauriger, und dennoch waren da eine Entschlossenheit, eine Kälte, die mir zuvor nicht an ihm aufgefallen waren. Eine Aufgabe, die er erledigen musste, auch wenn sie ihm unangenehm war, hatte ihn hierher geführt. Jetzt trat er mit einem Mal vor und bevor ich noch zurückweichen konnte, ergriff er meine rechte Hand und richtete sie auf Zaq. Ich war überrascht und ballte schnell eine Faust, versuchte die verräterische rote Erde zu verbergen, die das hastige Waschen gestern Nacht unter meinen Fingernägeln nicht entfernt hatte. Zaqs Blick wurde unsicher. Er seufzte.
»Naja …«
»Heute Morgen ist unsere Oberpriesterin gestorben. Und wir können sie nicht begraben, weil eure Unternehmung in der vergangenen Nacht das Gleichgewicht der Dinge verletzt hat. Wir müssen eine Reinigungszeremonie durchführen. Bis dahin bleibt bitte in eurer Hütte. Die Ältesten werden zusammenkommen und entscheiden, was zu tun ist.«
»Wir haben getan, was wir getan haben, weil du uns belogen hast.«
Naman wandte sich wütend ihm zu.
»Ich habe dich nicht angelogen. Ich habe dir alles gesagt, was ich wusste. Bleibt bitte in der Hütte, bis wir nach euch schicken.«
»Nein. Wir reisen heute ab.«
»Das geht nicht. Erst nach der Beerdigung.«
»Wann findet die Beerdigung statt?«
»Nach dem Reinigungsritual.«
»Und wann ist das?«
»Das wissen wir nicht.«
»Wie meinst du das?«
»Wir wissen nicht, wie lange das Ritual dauern wird, wir wissen nicht, woraus das Ritual bestehen wird, weil wir noch nie zuvor mit einer derartigen Situation konfrontiert gewesen sind. Vor dem heutigen Tag hat noch nie jemand ein Grab entweiht.«
»Es war aber nicht mal ein Grab; da war kein Leichnam drin …«
»Und was, wenn sich ein Leichnam darin befunden hätte?«
Zu guter Letzt sprach der kahlköpfige Älteste, die Stimme flüsternd wie ein Rauchflor. Er klang fast flehend, doch lag zugleich eine Drohung in seinem wässrigen Blick.
»Heute findet eine Versammlung aller Ältesten statt. Bitte verlasst eure Hütte nicht ohne Erlaubnis.«
Naman wandte sich zum Gehen, blieb dann aber stehen und schaute uns an, und als er sprach, klang seine Stimme etwas weicher.
»Es geht sowieso keine Fähre, die euch von der Insel runter bringen könnte. Bis die Beerdigung vorüber ist, wird hier alles stillstehen. Die ganze Gemeinschaft wird trauern.«
»Wenn wir versuchen sollten zu fliehen, wird man uns aufhalten?«
»Wie wolltet ihr? Wollen Sie vielleicht schwimmen, Mr. Zaq? Es wäre mir lieber, Sie würden uns zu nichts zwingen. Für uns ist das ein Augenblick großen Kummers.«
Und sie gingen. Zaq blieb an der Tür stehen und schaute zu, wie die Männer unter den Bäumen verschwanden.
»Glaubst du, die meinen es ernst?«
»Zumindest schienen sie ernst zu meinen, dass keine Fähre geht.«
Er drehte sich um und setzte sich auf seine Matte. Etwas später legte er sich auf den Rücken, sah zur Decke, verschränkte die Arme unter dem Kopf. Ich setzte mich und gab mir Mühe, seine Ruhe nachzuahmen, aber meine Gedanken reisten über einen Ozean, kabbelig und aufgewühlt und
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