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Öl auf Wasser - Roman

Öl auf Wasser - Roman

Titel: Öl auf Wasser - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlag Das Wunderhorn <Heidelberg>
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seltsame Befriedigung darin, den Schmutz für immer unter der neuen Farbschicht verschwinden zu sehen, anschließend das Fenster wieder an die Angeln zu nageln und schließlich alles wegzuwerfen, was sich nicht mehr reparieren ließ. Danach fühlte sie sich, wie sich Christen fühlen müssen, nachdem sie getauft worden sind: wiedergeboren. Dann schloss sie sich den Glaubensanhängern an, die die Statuen Stück für Stück wieder zusammensetzten; und als sie damit fertig waren, wäre ein unwissender Beobachter niemals in der Lage gewesen zu sagen, dass eben diese Figuren erst vor einer Woche von den Soldaten umgestoßen und in Stücke geschlagen worden waren. Ihre Dellen und Löcher erhöhten nur noch ihr würdevolles Aussehen.
    Boma war ebenfalls noch auf der Insel. Sie hatte sich den Glaubensanhängern angeschlossen, war mit ihnen morgens und abends in einer Prozession ans Meer gezogen, um darin einzutauchen und eine Hymne an die aufgehende und untergehende Sonne zu singen. Und seit Glorias Rückkehr waren die beiden unzertrennlich gewesen. Jeden Morgen standen sie am Ufer und sahen hoffend jedem einlaufenden Boot entgegen, warteten gemeinsam darauf, dass ich zurückkam. Als sie mir erzählte, dass Zaq auf der Insel beerdigt worden war, auf dem kleinen Friedhof in der Nähe des Skulpturen gartens, stand ich auf und zog mein Hemd über.
    »Ich muss los und Auf Wiedersehen sagen.«
    Obwohl der Doktor mich darauf vorbereitet hatte und obwohl ich den größten Teil der vergangenen Woche mit Zaq verbracht und gesehen hatte, wie er jeden Tag ein wenig mehr verging und dahinsiechte, brachte mich die Nachricht von seinem Tod dennoch völlig aus der Fassung. Ich merkte nicht, dass mir Tränen über das Gesicht liefen, bis sie mir auf den Arm tropften. Gloria hielt meine Hand und zog mich wieder ins Bett.
    »Ruh dich aus. Du hast etwas Fieber. Morgen geht es dir besser. Wir gehen morgen gemeinsam dorthin.«
    »Ich muss morgen nach Port Harcourt. Das Schicksal einer Frau liegt in meiner Hand.«
    »Morgen kannst du beides erledigen. Ich fahre mit dir nach Port Harcourt … wenn du willst. Ich kann den Doktor bitten, mir ein paar Tage frei zu geben.«
    »Welchen Doktor?«
    »Dr. Dagogo-Mark.«
    Sie berichtete, dass er an dem Tag auf der Insel angekommen war, an dem ich sie verlassen hatte, und freiwillig geblieben war, nachdem die Soldaten abgezogen waren. Er hatte bereits eine Behandlungsstation eingerichtet und sprach schon davon, ein richtiges Krankenhaus aufzubauen, mit Krankensälen und Operationsraum.
    »Er ist ein guter Mensch.«
    »Ich weiß.«
    Wir setzten uns nebeneinander auf das Bett und sahen zu, wie sich die Dunkelheit langsam über alles legte. Wir machten uns nicht die Mühe, Licht anzuzünden.
    »Was ist mit deinem Verlobten?«
    »An den habe ich schon lange nicht mehr gedacht.«
    Mit dem ersten Licht des Tages machten wir uns auf den Weg zum Schrein. Gloria verließ mich im Skulpturengarten und ging Boma suchen. Sie hatte recht – obwohl die Anzahl der Statuen deutlich kleiner geworden war, sahen die, die jetzt dort standen, so aus, als hätten sie schon immer so ausgesehen. Zeit und Wetter schienen ihnen die Narben und Löcher beigebracht zu haben, nicht irgendwelche zufälligen Waffen. Zwei Männer gingen zwischen den Statuen umher, hoben lose Steine auf, wischten die letzten Spuren der Gewalt von den Figuren ab. Sie nickten mir zu und ich erwiderte ihren Gruß. Zaq war in dem leeren Grab bestattet worden, das er und ich einst mitten in der Nacht aufgegraben hatten, vom Whisky benebelt und der Aussicht entgegenfiebernd, einen groß angelegten Betrug aufzudecken. Am Kopf des Grabs stand ein Holzkreuz, an dem ein Holzschild mit der einfachen Inschrift befestigt war:
    ZAQ, JOURNALIST, AUGUST 2009, RUHE IN FRIEDEN
    Rund um Zaqs Grab herum fanden sich über ein Dutzend frische Gräber; ihre Erdhügel erhoben sich wie frisch aufgeworfene Ackerfurchen in einem Feld aus dem Erdreich, grob und dunkel und fruchtbar, auf das Saatgut wartend. Ich setzte mich in den Schmutz und starrte lange auf das schmucklose Grab und wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wünschte, ich hätte eine Flasche seines geliebten Johnnie Walker dabei und könnte ihm ein kleines Trankopfer bringen. Ich überlegte, wie er wohl alles verstanden hätte, er, der Weitgereiste, der so viel gesehen und erlebt hatte und so viel gelitten, und nun an diesem fremden Ort begraben war, mit solch einer schlichten Grabinschrift. Ich erinnerte mich daran,

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