Öl-Connection
fiel.
Allgemeines Erstaunen und freudige Überraschtheit brachen aus, als Hammerschmidt das ›Gefängnis‹ betrat. Kang blieb draußen im Gang vor der offenen Tür stehen und lehnte sich gegen die Wand.
»Herr Kapitän«, sagte der Erste Offizier Jens Halbe gerührt. »Mein Gott, Sie leben! Wir hatten schon gedacht, daß man Sie umgebracht hat. Als man Sie auf der Brücke festhielt …«
Sie sprachen Deutsch miteinander, was Hammerschmidt gleich nach seinem Eintritt vorgeschlagen hatte. Kang beherrschte Englisch und ein wenig Französisch, aber Deutsch klang in seinen Ohren genauso exotisch wie für die meisten Europäer Chinesisch.
Hammerschmidt war gerührt, aber Gefühle zu zeigen, gehörte nicht zu seiner Lebensart. Er setzte sich auf einen Karton mit Erbsenkonserven und schlug die Beine übereinander. Dabei blickte er auf seine Armbanduhr. Noch zwölf Minuten. Er war entschlossen, nicht eine Minute zu überziehen, denn draußen stand Kang und sah auch auf seine Uhr. Er wollte auf jeden Fall vermeiden, daß Kang in den Bunker kam, um ihn herauszuholen. Außerdem sollten seine Offiziere nicht Augenzeugen seiner eigenen Unterwerfung werden.
»Wie ich sehe, meine Herren«, sagte er in seinem gewohnten Ton, »geht es Ihnen verhältnismäßig gut. Davon wollte ich mich überzeugen. Hat man Sie anständig behandelt?«
Er blickte von Jens Halbe über Richard Botzke, dem Zweiten Offizier, zu Chief Donald Smits. Die Offiziere nickten stumm.
»Sie wurden nicht geschlagen?« fragte Hammerschmidt weiter.
»Nein, Herr Kapitän«, antwortete Halbe. »Nur ein zu den Meuterern übergelaufener Japaner hat Smits ins Gesicht gespuckt. Er tat es sicherlich aus Angst, und um zu beweisen, daß er mit den Meuterern solidarisch ist.«
»Sonst keine Beschwerden?«
»Das Essen, Herr Kapitän.« Botzke hob resignierend die Schultern. »Es ist gut, ohne Zweifel. Jeden Tag chinesische Nudelsuppe, Gemüse, Reis …«
»Kleingehackte Hühnchen mit Knochen, Fischsuppe mit Fischköpfen … Ich bekomme das gleiche.«
»Nur, Herr Kapitän … ich bekomme Durchfall davon.«
»Botzke, wir genießen bevorzugte Behandlung. Fischköpfe gelten bei den Chinesen als absolute Delikatesse. Einem Ehrengast bietet man zuerst Fisch- oder Hühnerköpfe an.«
»Mag sein, Herr Kapitän.« Botzke grinste verhalten. »Trotzdem bekommt's mir nicht.«
»Wo hat man Sie eingesperrt?« fragte Smits, der bisher geschwiegen hatte. Er konnte es nicht erklären, wieso Hammerschmidt weiter in weißen Hosen und weißen Schuhen herumlief.
»Kang Yunhe hat mir meine Kabine gelassen. Darüber wollte ich mit Ihnen sprechen, meine Herren.« Er blickte auf die Uhr. Noch neun Minuten. »Ganz kurz und schnell: Kang hat das Schiff in seiner Gewalt, aber ich steuere es weiter wie bisher. Ich hielt es für meine Pflicht, um Sie, die Crew und vor allem die Else Vorster zu retten. Ich habe Kang mein Ehrenwort gegeben, das Schiff dahin zu bringen, wohin er will. Noch kenne ich unser Ziel nicht, aber die Zeit arbeitet für uns und vielleicht auch das Glück. Es geht jetzt nur darum, zu überleben und abzuwarten.«
»Und wie ist unser Kurs?« fragte Halbe.
»Noch immer Singapur.«
»Da ist doch ein Trick dabei! Wieso will Kang nach Singapur, wo wir sowieso hinwollten?«
»Das frage ich mich auch, aber ich werde es bald erfahren. Noch fahren wir außerhalb der Schiffahrtsstraße, aber parallel zu ihr. Ich bin gespannt, wo und wann und wohin Kang abschwenken wird.«
»Ich würde dann auf den Linienweg gehen. Kang merkt es doch nicht«, schlug Botzke vor.
»Halten Sie ihn nicht für einen Schwachkopf, Botzke. Wenn er das erste Schiff sieht, weiß er, daß er betrogen worden ist. Wie er dann reagiert, können wir abschätzen. Außerdem … ich habe mein Ehrenwort gegeben! Ich darf die Else Vorster nicht opfern! Meine Herren, wir wollen überleben und das Schiff auch. Warten wir ab, haben wir Geduld.« Hammerschmidt blickte wieder auf seine Uhr. Noch zwei Minuten. Er erhob sich von dem Konservenkarton und gab jedem seiner Offiziere die Hand. Wie gewohnt standen sie stramm, als sei alles völlig normal. »Meine Herren, ich werde Sie wieder besuchen. Kopf hoch und dann durch die Scheiße! Ich habe große Hoffnung, daß wir es schaffen! Ich werde alles tun, um Sie hier herauszuholen.«
»Jawohl, Herr Kapitän!« kam es wie aus einem Mund.
Hammerschmidt verließ den Gemüsebunker, warf die Tür hinter sich zu und hielt Kang, der noch immer an der Wand lehnte, seine Uhr
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