Öl!
ganze Zeit kein einziges Wort von Paul! Bunny erhielt verzweifelte Briefe von Ruth: «Was, meinst du, kann ihm passiert sein? Ich schreibe ihm jede Woche an die Adresse, die er mir gegeben hat, und ich weiß , er würde antworten, wenn er am Leben wäre.» Bunny erklärte ihr, dass die Post bis Wladiwostok und zurück sechs Wochen brauche, wie lange es dann noch auf der Eisenbahn dauere, wisse kein Mensch, außerdem gebe es eine Zensur, und in Kriegszeiten könne viel mit Briefen geschehen. Wenn Paul getötet oder verwundet worden wäre, hätte die Armee bestimmt seine Eltern benachrichtigt; keine Nachricht sei also eine gute Nachricht. Es habe praktisch keine Kämpfe gegeben, was Ruth aus den Zeitungsausschnitten ersehen könne, die Bunny ihr gewissenhaft zusende. Die Berichte seien knapp, aber nur deshalb, weil sich nicht viel ereigne. Richtige Kämpfe oder Truppenverluste würden die Zeitungen schon melden, da könne sie sicher sein.
Im Juli dieses Jahres 1918 waren amerikanische und japanische Truppen praktisch ungehindert in Wladiwostok gelandet, hatten sich entlang der Transsibirischen Eisenbahn verteilt und überwachten, ja betrieben sie im Grunde bis zum Baikalsee, wo sie auf die Tschechoslowaken getroffen waren. 46 Mit Hilfe dieser intelligenten Männer kontrollierten nun die Alliierten das ganze Land bis zur Wolga; die Bolschewiken mussten im Hinterland bleiben. Von Zeit zu Zeit berichteten die Zeitungen, Admiral X. oder General Y. hätte eine stabile russische Regierung eingesetzt, natürlich mit Hilfe von alliiertem Geld und Nachschub. Am westlichen Ende war das ein kosakischer Ataman und am östlichen ein chinesischer Mandarin, ein mongolischer Tutschun oder ein anderes exotisches Ungetüm. So wurden immer neue Bereiche des Erdballs von den bösen Bolschewiken befreit. Und irgendwo inmitten dieser romantischen, aufregenden Ereignisse baute Paul Watkins aus Paradise, Kalifornien, Soldatenbaracken und «Y»-Hütten und würde eines Tages mit einer wunderbaren Geschichte heimkommen! So schrieb Bunny und beschwor Ruth, guten Mutes zu bleiben und auf die Hilfe des alten Uncle Sam zu vertrauen.
9
Die Nächte in Bunnys Quartier wurden kalt, und von Europa drangen unausgesetzt aufregende Nachrichten herüber und machten sich auf den Titelseiten der Zeitungen breit, in sechs oder acht Ausgaben am Tag. Die Vorstöße der Alliierten verwandelten sich in einen Vormarsch, in den lang beschworenen Marsch auf Berlin! Es war auch ein Marsch auf Wien, Sofia und Konstantinopel, denn überall begannen die Mittelmächte zu wanken, brachen zusammen, ergaben sich. Präsident Wilson verkündete sein Vierzehn-Punkte-Programm, auf dessen Grundlage die Deutschen zum Aufgeben aufgefordert wurden. Es gab Gerüchte über Verhandlungen, die Deutschen schlugen einen Waffenstillstand vor. Nach ein paar Tagen voller Spannung kam die Antwort: Kein Waffenstillstand, sondern Kapitulation, schließlich marschierte man bereits nach Berlin!
Und dann eines Tages die unglaubliche Nachricht: Der Feind hatte sich ergeben und die Kapitulation unterzeichnet! Es war falscher Alarm, ausgelöst von der amerikanischen Gepflogenheit, allen Ereignissen immer einen Schritt voraus zu sein. Jede Zeitung wollte die andere übertreffen, deshalb schrieben sie alle Artikel schon im Voraus – über Reden, die noch nicht gehalten waren, Zeremonien, die noch nicht stattgefunden hatten. Irgendein nervöser Reporter hatte mit dem Finger am Abzug gespielt, die Meldung ging hinaus und versetzte ganz Amerika in Aufruhr. So ein Spektakel hatte die Welt noch nicht gesehen! Alle erdenklichen Gerätschaften, mit denen sich Lärm machen ließ, wurden hervorgeholt, Männer, Frauen und Kinder rannten auf die Straße, sangen, tanzten und schrien bis zur Besinnungslosigkeit, Pistolen wurden abgefeuert, Autos mit hüpfenden Blechdosenschwänzen sausten vorbei, Zeitungsjungen und Börsenmakler lagen sich weinend in den Armen, und alte, unnahbare Bankdirektoren tanzten mit Tippfräuleins und Telefonistinnen Cancan. Als ein paar Tage später die echte Nachricht kam, rückten alle aus, um sich noch einmal zu freuen, aber jener erste herrliche, hoffnungsfrohe Begeisterungstaumel ließ sich nicht wiederholen.
Daraufhin verloren die jungen Offiziersanwärter natürlich die Lust an der Militärausbildung; alle wollten sie nach Hause, wieder auf die Universität oder zurück in ihren Beruf, und wer irgendwelche Beziehungen hatte, ließ sich rasch Heimaturlaub geben, ein dehnbarer
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