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Oelspur

Titel: Oelspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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Waffe mit Schalldämpfer«, sagte Geldorf, »die Schädeldecke praktisch weg und das Gehirn auf die Klowände verteilt. Kein Gesicht mehr.«
    Anna stand auf, ging in die Küche und kam mit einem Wasserglas und einer Flasche Aquavit zurück. Sie stellte beides vor Geldorf auf den Tisch und setzte sich leise wieder aufs Sofa. Geldorf gab ein genießerisches Schmatzen von sich, schüttete das Glas halb voll und kippte es mit einem Schluck hinunter. Dann machte er weiter.
    »Es sah aus wie eine Hinrichtung mit vorhergehender Folterung. Der Mörder hat dem armen Schwein erst noch ins Bein geschossen, bevor er ihn schließlich erledigt hat. So was hab ich selbst auf dem Kiez noch nicht gesehen. Ausgerechnet einer von der Heilsarmee hat ihn gefunden. Auch Gottes Soldaten müssen mal pinkeln.«
    »Weiß man schon, wer er ist?«, fragte Anna. Ihre Stimme klang fast normal, während ich das Gefühl hatte, auf Tafelkreide herumzulutschen. Sehnsüchtig schielte ich nach der Flasche. Geldorf registrierte meinen Blick und schob sie zu mir herüber.
    »Nehmen Sie ruhig einen Schluck«, sagte er mit einem Anflug seiner alten Jovialität. »Sie werden ihn brauchen!« Er wandte sich Anna zu.
    »Mit dem Gesicht konnte der Erkennungsdienst nicht mehr viel anfangen, aber die Fingerabdrücke sind in unserer Kartei. Er heißt Valbon Selimi. Mit internationalem Haftbefehl gesucht in der gesamten EU. Nach dem Bosnienkrieg zunächst wegen Kriegsverbrechen: Vergewaltigung, Mord und Massenvertreibungen, die ganze Palette. Er ist Kosovo-Albaner, hat aber offenbar mit den Serben kollaboriert. Zuletzt wurde er gesucht wegen Drogenhandel, Zwangsprostitution und Auftragsmord. Kurz und gut: ein absolut lebensgefährlicher Schweinehund. Wir gehen davon aus, dass ihn einer von seinen Berufskollegen getötet hat.«
    Ich hatte mich zurückgehalten, so gut es ging, aber jetzt war ich reif für den Aquavit. Ich nahm einen großen Schluck direkt aus der Flasche und sah aus den Augenwinkeln, wie Anna den Kopf schüttelte. Der Schnaps tobte durch meine Speiseröhre und landete mit einem schönen warmen Plumps im Magen.
    »Tja«, sagte Geldorf bedächtig, »und wie ich nun nach der ganzen Sauerei wieder auf unserer Dienststelle auftauche, höre ich doch ganz nebenbei, dass sich eine Taxizentrale bei uns gemeldet hat. Da hat einer ihrer Fahrer einen ziemlich ramponierten Typen vom Bahnhof in die Abteistraße gefahren. Und da hab ich gedacht, ich schau mal nach Ihnen.«
    »Jugendliche«, sagte Anna mit einem wunderbaren Hauch Verachtung in der Stimme. »Er konnte das Maul nicht halten, als ein paar bierverblödete Halbstarke ihn angerempelt haben. Nur ein bisschen rumgeschubst. Wenn er es weggesteckt hätte … aber so … Sie sehen ja: das volle Programm.«
    »Mit wegstecken sieht es im Moment nicht mehr so gut aus«, sagte ich laut und deutlich. Entgegen der landläufigen Meinung hatte der Aquavit meinen Stimmbändern offenbar gutgetan.
    »Schön, dass Sie auch mal was sagen«, sagte Geldorf. »Ich hab schon befürchtet, Ihnen wären die Verschwörungstheorien ausgegangen. Was wollten Sie denn eigentlich am Bahnhof?«
    »Ich bin bei der telefonischen Zugauskunft nicht durchgekommen. Eine Warteschleife nach der anderen. Na ja, dann bin ich halt mit der S-Bahn hingefahren, um ein paar Zugverbindungen abzuklären.«
    »Der ICE nach München fährt im Stundentakt.«
    »Wenn das hier vorbei ist, will ich meine Eltern in Schweden besuchen.«
    »Das ist schön von Ihnen«, sagte Geldorf, »Familie ist wichtig. Wissen Sie, es gibt da eine Kleinigkeit bei der ganzen Geschichte, die ich nicht begreife. Etwa zu der Zeit, als unserem Freund Selimi der Kopf weggeschossen wurde, hat jemand bei der Notrufzentrale angerufen. Eine Männerstimme sagte: ›Im Bahnhofsklo ist jemand schwer verletzt‹. Verstehen Sie, das war nicht der Mann von der Heilsarmee. Der hat nicht telefoniert, der ist einfach schreiend rausgelaufen. Denkbar wäre, dass vor ihm jemand auf dem Klo war, Selimi gesehen und ganz cool per Handy den Notarzt gerufen hat. Und dann verduftet ist. Aber er sagte ›schwer verletzt‹, wissen Sie, nicht ›tot‹. Wenn er Selimi gesehen hat, hätte ihm doch klar sein müssen, dass ein Mann praktisch ohne Kopf nicht einfach nur schwer verletzt ist.«
    »Wenn er ihn gesehen hat«, sagte Anna. »Vielleicht hat er nur das Blut gesehen. Wäre doch möglich. Er kommt rein, will einfach nur pinkeln und sieht, wie unter einer Klotür eine schöne große Blutlache auf ihn

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