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Oelspur

Titel: Oelspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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und Dröhnen der Schiffsmotoren und der Fahrtwind verursachten einen unglaublichen Lärm.
    Dann, wie aus dem Nichts, war hinter mir eine Stimme, direkt an meinem Ohr. Akzentfrei deutsch, kultiviert und nicht unfreundlich.
    »Bleiben Sie jetzt einfach ganz ruhig stehen, und drehen Sie sich nicht um!«
    Ich hatte nicht die Absicht zu gehorchen, aber als ich mich umdrehen wollte, spürte ich einen kalten, metallischen Druck am Hinterkopf.
    »Seien Sie vernünftig, Doktor! Sie kennen sich doch aus in der Anatomie. Die Kugel geht durchs Hinterhauptsloch, durchschlägt Rückenmark und Zungengrund und kommt bei den oberen Schneidezähnen wieder raus, ohne dass hier irgendjemand etwas mitkriegt.«
    Offensichtlich wollte er mir Angst machen, und er war sehr erfolgreich damit. Seitlich hinter meinem Rücken wurde eine quietschende Metalltür geöffnet, und dann rissen mich zwei kräftige Arme nach hinten in einen muffigen Raum. Vor mir tauchte etwas auf, das sich wie ein Vorhang anfühlte. Ich wollte danach schlagen, aber jemand hielt meine Handgelenke eisern umklammert, und dann wurde dicker Stoff um meinen Kopf gewickelt.
    »Seien Sie ruhig, und setzen Sie sich hin«, sagte die jetzt gedämpft klingende kultivierte Stimme mit einer deutlichen Spur von Ungeduld. Die Person hinter mir riss mich zu Boden, und erneut spürte ich den metallischen Druck im Genick. Um mich herum war es vollständig dunkel, und ich konnte durch den dicken staubigen Stoff kaum atmen. Sie waren zu zweit, die Stimme vor mir, der Revolver hinter mir.
    Vor mir hörte ich das Klicken eines Feuerzeugs, aber der Stoff vor meinem Gesicht war so dicht, dass ich von der Zigarette weder etwas sehen noch riechen konnte. Ich würde ersticken, innerhalb der nächsten drei Minuten, und bei diesem Gedanken wusste ich plötzlich, was das Zeug vor meinem Gesicht war. Sie hatten meinen Kopf in eine Branddecke gewickelt.
    »Wir wollen Ihre Mitarbeit, Dr. Nyström«, sagte die Stimme, jetzt über mir. »Werden Sie kooperieren?«
    »Ich kriege keine Luft!«, krächzte ich, und im nächsten Augenblick explodierte in meinem Unterleib ein Schmerz, der mit meinem Schrei tatsächlich das letzte Quäntchen Residualluft aus meinen Lungen hinaustrieb. Der vor mir stehende Mann hatte mir einen eher beiläufigen Fußtritt versetzt, der mich jetzt nach vorne wegsacken ließ. Ich verlor kurz das Bewusstsein. Die Decke um meinen Kopf wurde etwas gelockert. Dann war die Stimme wieder da.
    »Falsche Antwort«, sagte sie.
    Der Mann hinter mir zerrte mich wieder hoch, und ich begann heftig zu nicken. So wie man mit dem Kopf in einer Branddecke eben nicken kann.
    »Was wir wollen, ist sehr einfach, Dr. Nyström. Halten Sie sich raus! Fahren Sie nach Hause, und vergessen Sie einfach alles. Vor allem Frau Jonas. Ich weiß nicht, was Sie herausgefunden haben und was Sie in Lettland wollen, und es kümmert mich einen Dreck! Nehmen Sie die anorektische Schlampe, und fahren Sie nach München zurück. Halten Sie weiter Ihre Vorlesungen und ansonsten das Maul. Wir geben Ihnen die einmalige Chance, normal weiterzuleben. Normalität ist etwas Wunderbares, Dr. Nyström.«
    Ich nickte wieder energisch.
    »Wir haben kein Interesse daran, Sie zu töten – aber auch kein Problem damit. Und mein stummer Freund hier weiß, wie man es anstellt, dass sich jemand den Tod herbeisehnt. Schauen Sie, er kann Ihr Schienbein mit einem Taschenmesser abschaben oder Ihre Knie mit einem Vorschlaghammer zertrümmern. Und was er mit Ihren Augäpfeln und einem Eierlöffel anstellen kann, möchten Sie gar nicht wissen.«
    Mein Kopf begann praktisch von selbst zu nicken und schien gar nicht mehr aufhören zu wollen.
    »Wir verlassen Sie jetzt, Doktor. Bleiben Sie ein Weilchen hier, es wird Sie schon jemand herausholen. Ich will Sie nicht mehr wiedersehen! Und Sie sollten sich überlegen, ob Sie mich noch einmal treffen möchten.«
    Ich wollte wieder nicken, riss mich im letzten Augenblick zusammen und schüttelte so heftig, wie ich konnte, meinen umwickelten Kopf. Der Mann hinter mir ließ meine Schultern los, und ich kippte zur Seite weg. Leise Schritte, das Öffnen und Schließen der quietschenden Tür und dann ein schabendes Klicken, als eine Art Riegel heruntergedrückt wurde. Ich riss mir die Branddecke herunter und blieb einfach auf der Seite liegen. Es war wunderbar zu atmen. Die verbrauchte Luft in dem muffigen kleinen Raum kam mir unvergleichlich sauber und belebend vor. Der Zigarettengeruch störte mich nicht

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