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Oelspur

Titel: Oelspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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äußerst kaltblütigen Mörder mit medizinischen Kenntnissen. Er muss kein Arzt sein. Vielleicht ein abgebrochener Medizinstudent oder ein Krankenpfleger.« Bärwald hatte recht. Vielleicht war er kein Arzt und nur versessen auf das Renommee und die Arroganz des Berufsstandes. Aber da war noch mehr. Es war seine Stimme, die Selbstsicherheit und Machtfülle eines Menschen, der nichts und niemanden zu fürchten hat. Das hatte mir mehr Angst gemacht als alle Drohungen zusammen.
    »Er ist nicht einfach nur arrogant«, sagte ich, »sondern vollkommen überzeugt davon, dass er mit allem durchkommt. Ein Soziopath, der sein ganzes bisheriges Leben als einen Beweis dafür ansieht, dass er tun und lassen kann, was er will. Er hat keine Angst. Warum auch? Es hat immer funktioniert. Ihm fehlt dieser Draht zur Wirklichkeit, der normale Menschen Furcht empfinden lässt.«
    »Und er ist hier an Bord«, sagte Anna. »Er kennt uns. Er kann jeden unserer Schritte überwachen. Wir haben nur seine Stimme.«
    »Jetzt weißt du, warum ich aufgeben will!«
    »Nein. Lass uns morgen noch mal darüber reden. Ich will jetzt keine Entscheidungen treffen. Du kannst hier unten liegen bleiben.«
    Ich war dankbar, dass ich nicht die verdammte Leiter hochklettern musste, und nachdem ich eine Weile Annas Bemühungen zugehört hatte, sich auf der muffigen Matratze über mir in eine bequeme Position zu bringen, beförderte mich der Rioja in einen dumpfen, von wirren Träumen durchzogenen Halbschlaf. Gegen drei Uhr morgens wachte ich auf, als ein paar betrunkene Fahrgäste vor unserer Kabinentür herumalberten. Ich lauschte den sich entfernenden Stimmen und dem sanften Dröhnen der Maschinen. Die Fähre hatte angefangen, leicht zu schlingern, und der Gang meiner Gedanken schien sich dieser Bewegung anzupassen. Hatte ich nicht irgendwo gelesen, dass es Öltanker von so enormer Länge gibt, dass sie sich bei heftigem Seegang in der Mitte bis zu einem halben Meter aufwölben? Was musste das für ein Gefühl sein, wenn ein Schiff in der Mitte buckelte wie ein Rodeopferd? Was waren das für Leute, die auf solchen Schiffen arbeiteten? Irgendwelche armen Schweine, die keine Wahl hatten? Oder hoch bezahlte Fachleute, wie sie auf den Ölplattformen arbeiteten. Leute, denen man ein Angebot gemacht hatte? Ein Angebot, das sie nicht ablehnen konnten? Wie alle hatte ich in den Siebzigern den Paten gelesen, aber mehr noch als dieses zum Sprichwort avancierte Zitat war mir eine andere Lebensweisheit von Don Corleone im Gedächtnis geblieben:
    »Es gibt Menschen auf dieser Welt, die herumlaufen und verlangen, dass man sie tötet … und immer ist jemand zur Hand, der ihnen diesen Gefallen erweist.«
    Gehörten auch wir zu dieser Sorte? Was hätte Don Corleone von uns gehalten? Das Bild Marlon Brandos trieb durch meine Gedanken, die für die Kamera ausgepolsterten Wangen, die Mischung aus Traurigkeit, Zynismus und väterlicher Sorge. Dann drehte auch er das Gesicht zur Wand und schwieg.

Zweiundzwanzig
    D
    er nächste Tag verlief grau und ereignislos. Die Ostsee hatte sich beruhigt, aber das Wetter war kalt, und es regnete ununterbrochen. Die fröhliche Partylaune der Passagiere hatte einer allgemeinen Katerstimmung Platz gemacht, und die Stewards wieselten mit übellauniger Geschäftigkeit um die Sandhäufchen herum.
    Anna und ich hatten spät gefrühstückt und dabei das Thema vom Vorabend stillschweigend vermieden, aber es war uns beiden klar, dass wir an einem toten Punkt angelangt waren. Ich hatte so viel Angst, dass ich pausenlos die Gesichter der übrigen Fahrgäste musterte, und Anna ging es nicht viel anders. Es gab an Bord jede Menge Familien mit Kindern und Jugendlichen, die von vornherein ausschieden, aber es blieben noch genug kleinere Gruppen von Männern übrig, die zu dritt oder zu viert herumhingen, Karten spielten oder sich betranken. Nach meinem Erlebnis mit den Albanern auf dem Bahnhofsklo war ich einfach davon ausgegangen, es mit Tätern aus dem südosteuropäischen Raum zu tun zu haben, aber vielleicht war das völlig falsch. Der Mann von letzter Nacht hatte sich kein bisschen nach Balkan angehört. Andererseits kannte ich viele Serben und Kroaten, die in zweiter oder dritter Generation in Deutschland lebten und auf die das ebenso zutraf.
    Es konnte einfach jeder sein.
    Das Gefühl einer permanenten Bedrohung und die Unmöglichkeit, das Schiff einfach zu verlassen, ließen uns die Fahrzeit endlos lang vorkommen. Anna las eine Weile lustlos in

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