Oelspur
auffuhren, krallte Anna ihre Finger in die Kanten des Beifahrersitzes, aber schaute wenigstens noch nach links und rechts. Auf der Hochbrücke, also der eigentlichen Öresundbrücke, kniff sie dann die Augen fest zusammen und ließ sich ein grandioses Panorama entgehen. Ich hatte im Handschuhfach eine Kassette mit einer Aufnahme von Gunnars Joe-Cocker-Album entdeckt, die ich jetzt einlegte, und »With a little help from my friends« fuhren wir unter strahlend blauem Himmel über die fantastisch glitzernde See.
»Macht noch mehr Spaß mit Pink Floyd«, sagte ich.
»Ist schon recht so«, murmelte Anna. Sie hielt die Augen geschlossen und atmete gleichmäßig und tief durch, und zehn Minuten später waren wir in Dänemark.
Als wir auf die Autobahn Richtung Odense führen, meldete sich Anna zurück.
»Weißt du, ich habe mir was überlegt: Wenn ich die Möglichkeit hätte, die Augen die ganze Zeit geschlossen zu halten, könnte ich es vielleicht doch mal mit dem Fliegen probieren.«
»Na klar. Besorg dir einen Blindenhund, und ab in die Lüfte!«
Wir mussten beide losprusten und steigerten uns in eine hysterische Heiterkeit hinein, die bis zur nächsten großen Brücke anhielt.
Die Storebeltbrücke meisterte Anna bereits mit leicht geschlitzten Augen, und wir kamen zügig voran. Über Odense und Kolding fuhren wir in Richtung Flensburg und waren am frühen Abend an der deutsch-dänischen Grenze.
»Lass uns erst nach Hamburg fahren«, sagte ich, »und den Bus morgen holen.«
Anna nickte. Sie war in den letzten Stunden überaus kompromissbereit und friedfertig gewesen. Aber das spielte keine Rolle mehr, denn zu unserer Überraschung waren die Zollhäuschen am deutschen Grenzübergang besetzt, und die Beamten winkten nur Familien mit Kindern einfach durch. Der Zollbeamte gab meinen Pass, den ich durchs Fenster gereicht hatte, nicht zurück, sondern studierte aufmerksam eine Liste auf einem Klemmbrett und lotste uns mit einer unmissverständlichen Geste aus der Schlange heraus. Wir hielten hinter einem grünen VW-Bus, an dessen offener Tür zwei Beamte in Zivil standen. Einer von ihnen verglich noch einmal mein Gesicht mit dem Passfoto und kam dann auf mich zu.
»Dr. Nyström? Schön, dass Sie wieder da sind. Die deutsche Polizei sucht Sie. Besonders Kommissar Geldorf in Hamburg hat große Sehnsucht nach Ihnen. Wir bringen Sie zu ihm.«
»Wir wollten sowieso nach Hamburg!«
Der Beamte schüttelte den Kopf.
»Sie fahren mit uns. Die junge Dame kann ja Ihr Auto nach Hamburg fahren.«
Anna holte tief Luft und schluckte ihren Wutanfall hinunter, als ich energisch den Kopf schüttelte. Ich warf ihr den Schlüssel für den Volvo zu.
»Wir treffen uns bei Helen!«
Aber daraus wurde nichts. Es dauerte ein paar Tage, bis ich Anna tatsächlich wiedersah, und als es so weit war, war das Sterben in vollem Gange.
Sechsundzwanzig
W
ie wäre es, wenn Sie mit dem Lügen einfach mal aufhören würden?«, fragte Geldorf.
Ich zuckte mit den Achseln und achtete darauf, nichts anzufassen.
»Wie wäre es, wenn Sie mir erklären, was der ganze Zirkus hier soll?«, sagte ich. »Und dann will ich mit einem Anwalt sprechen! Den haben Sie vergessen zu erwähnen.«
»Sie sehen zu viele Amifilme. Ich muss Ihnen Ihre Rechte nicht vorlesen. Kein ›Miranda-Akt‹ in Deutschland!«
»Aber es gibt noch Rechte, oder?«
»Es gibt jedenfalls nicht das Recht, mich anzulügen.«
»Oh doch«, sagte ich, »die Polizei hinsichtlich meiner eigenen Angelegenheiten zu belügen ist nicht verboten. Wir sind nicht bei Gericht. Aber natürlich habe ich nicht gelogen.«
So ging das eine ganze Weile. Wir saßen in Geldorfs Büro, Born war nicht da. Immerhin entging mir dadurch eine Aufführung der guten alten »bad cop/good cop«-Nummer. Als Geldorf einen halbherzigen Versuch unternahm, seine Schreibtischlampe auf mein Gesicht zu richten, drückte ich sie einfach zur Wand, und das ging auch in Ordnung. Jetzt saß er da, befummelte seine Zigarillos, ohne sie anzustecken, und kaute auf seiner Wut herum.
Ich hatte ihn nach einem Haftbefehl gefragt, und er hatte keinen. Also hatte ich gehen wollen, aber das war angeblich nicht möglich. Die Frage, mit welchem Recht er mich festhalten wollte, hatte er mit vagem Schulterzucken beantwortet.
»Sagen wir einfach mal: nicht verhaftet, aber vorläufig festgenommen.«
»Wegen was?«
»Ach, Scheiße«, sagte Geldorf, »die ganze Sache hängt mir zum Hals raus. Ich wollte einfach mit Ihnen reden, und
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